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Baronin Vogelfang: Wie steht es mit Ihren Augen? Expertin Nr. 158: Die sind gesund.

(Baronin Vogelfang übernimmt wieder den Vorsitz.)

Expertin Nr. 159: Ich arbeite als Stickerin für verschiedene Wäsche­geschäfte, in denen große Ausstattungen gemacht werden, und übernehme selbst ganze Ausstattungen. Wenn sehr viel zu thun ist, gebe ich auch Anderen Arbeit, damit ich die Kunden ordentlich befriedigen kann.

Vorsitzende: Sie übernehmen wohl Schlingereien, Monogramme, auch Hemden? Exp. Nr. 159: Das weniger, derlei wird selten hier ge­macht. Dafür gibt es in Böhmen Stickereien, wo die Mädchen sehr stark ausgenützt werden. Das ist eine sehr anstrengende Arbeit. Man bekommt ein ganzes Dutzend von fl. 4 aufwärts.

Vorsitzende: Wie lange braucht ein Mädchen, um eineHemden­passe" zu sticken? Exp. Nr. 159: Man kann sagen, drei Tage, und für das Dutzend werden fl. 3-50 gezahlt. In Böhmen gehen die 12- und 14jährigen Mädchen, welche noch die Schule besuchen, nach derselben in die Fabrik. Die bekommen dann für einen ganzen Tag 30 kr. und keine Verköstignng. Dabei werden die Augen sehr angegriffen. Ich bin schon sehr lange Stiäerin, zehn Jahre lang habe ich ohne Glas gearbeitet, denn ich habe ein sehr gutes Auge gehabt. Jetzt muß ich aber mit Glas arbeiten. Wenn eine Stickerin zehn Jahre stickt, muß sie ein Glas tragen.

Vorsitzende: Wie lange pflegen die Mädchen dort zu sein? Exv. Nr. 159: Um 5 Uhr Früh fangen sie an, arbeiten so lange es Tag ist und im Winter in die Nacht hinein.

Dr. Schwiedland: Diese Verwendung von jungen Mädchen findet in Böhmen statt? Sind Sie dort gewesen? Exp. Nr. 159: Nein, aber ich weiß es bestimmt.

Dr. Schwiedland: Kommt das auch hier vor, daß schulpflichtige Kinder verwendet werden? Exp. Nr. 159: Nein, aber es ist hier eine Stickerin, bei der ich auch vor 30 Jahren gelernt habe aber es ist noch immer so die nimmt solche Mädchen aus Böhmen, welche mit 14 Jahren herkommen, die natürlich schon schön sticken können, aber als Lehrmädchen anfangen müssen.

Vorsitzende: Wie lange müssen die gelernt haben, damit sie mit 14 Jahren schön sticken können? Exp. Nr. 159: Ein Jahr. Wenn sie herkommen, sticken sie sehr schön, aber mehr flach, nicht so wie man es in Wien macht. Monogramme sind dort auch selten; sie machen nur die Streifen, die Satteln. Das Monogrammsticken lernen sie hier, da lernen sie drei bis vier Jahre für die Kost und Wohnung. Diese Stickerin hat sechs bis sieben Böhminuen, welche so jung hinkommen.

Dr. Ofner: Wie werden denn diese Mädchen verpflegt?Expertin Nr. 159: In der Früh Kaffee und Brot, dann kauft die Frau ein halbes Kilo Fleisch für sechs bis sieben Personen, dazu ein Gemüse, das wird sehr schlecht gekocht.

Vorsitzende: Essen die Frau und der Herr dieselben Speisen mit? Exp. Nr. 159: O nein! Die Frau geht im Sommer anf's Land. Unsere Arbeit ist eine gute, mau kann daran etwas verdienen, aber man nützt die Leute aus, und die Böhminuen, welche nach Wien kommen, haben keine Energie. Sie bleiben sitzen und lassen sich ausnützen.

Dr. Schwiedland: Was veranlaßt sie denn, nach Wien zu kommen? Haben sie nicht zu Hanse ihr Auskommen, da sie schon sticken können? Exp. Nr. 159: In Wien ist es doch besser. Zu Hause verdienen sie 30 kr. pro Tag, sie glauben aber, daß sie es in Wien weiter bringen können

Dr. Schwiedland: Wie werden diese Mädchen nach Wien be­zogen? Exp. Nr. 159: Die Stickerinnen sind gewöhnlich Böhminuen und lassen sich die Mädchen von dort kommen, woher sie sind.