603
TU Ad ler: Wie lange brauchen Sie da zu einem halben Dutzend? — Exp. Nr. 160: Von Früh bis in die halbe Nacht.
Herrdegen: Irren Sie da nicht? Es gibt Herrenhemden, wofür man fl. 1'20 bezahlt. Sie sprachen von einem Leinenhemd mit Sänmchen- brust. Ist die Brust von einem anderen Stoff eingesetzt worden?—Expertin Nr. 160: Das waren keine schönen Säumchcn.
Herrdegen: Aber Sie haben auch die Säumchen gemacht? — Expertin Nr. 160: Ja.
Herrdegen: Sie werden aus Ihrer Praxis wissen, was das Hemd werth gewesen sein kann, wenn man es gekauft hätte. — Exp. Nr. 160: Vielleicht 90 kr.
Herrdegen: Das müssen wir also aufklären. Es kann erstens kein Herrenhemd gewesen sein und es kann kein Leinenhemd gewesen sein. War es weiß? — Exp. Nr. 160: Ein WeißesHemd; wie man sagt: ein Sonntagshemd war es nicht, aber ein weißes Leinenhemd.
Herrdegen: Vielleicht Chiffon? — Exp. Nr. 160: Nein, die billige Wollleinwand.
Vorsitzende: Sogenannte Kaiserleinwand.
Dr. Osner: Wie ist es möglich, ein solches Hemd in einer Stunde zu arbeiten?— Exp. Nr. 160: Es wird nichts untersüttert. Die Manschetten sind nicht unterfüttert, die Krägen auch nicht und sein genäht wird es nicht.
Herrdegen: Es war vielleicht ein Nachthemd? — Exp. Nr. 160: Nein; man kann auch mehr als eines in einer Stunde machen.
Vorsitzende: Sie haben mir erzählt, daß Sie Knopflöcher übernommen haben von einem Herrn, der sie von einem Geschäft gehabt hat. Sie hätten die Wäsche hingebracht und hätten dann gesagt, um den Preis könnten Sie nicht arbeiten. — Exp. Nr. 160: Er hat für zwei Knopflöcher 1 kr. geben wollen, das ist derselbe, für den ich die Hemden genäht habe. Da waren 100 Knopflöcher, gearbeitet habe ich von 8 Uhr Früh bis 7 Uhr Abends und habe mir 50 kr. verdient.
Vorsitzende: Wissen Sie noch etwas anzugeben? — Expertin Nr. 160 : Ein Mädchen hat per Dutzend Kinderkleider 70 kr.; ich habe einen Tag für das Dutzend gebraucht und von 8 Uhr Früh bis 7 Uhr Abends gearbeitet.
Expertin Nr. 161 (durch Mittheilungen der Vorsitzenden und Angaben seitens der Expertin wird zunächst Folgendes festgestellt): Die Expertin arbeitet für Privatkunden, und zwar eigentlich nur für eine Dame. Sie ist die Tochter eines höheren Staatsbeamten, lebt hier mit ihrer Schwester fast ausschließlich von ihrer Arbeit. Sie kann alle Arten Stickerei, Goldstickerei, Seidenstickerei, Weißstickerei, auch Nähen. Da die Damen hier fremd sind, wissen sie sich nicht recht zu helfen und sind aus das angewiesen, was ihnen die Privatkunden, die ihrerseits nicht wissen, was zu zahlen ist, zahlen. Das Fräulein arbeitet vorzugsweise Paramente, die ihr von einer Dame gegeben werden, welche viel an Kirchen spendet. Ihre Klage ist hauptsächlich, daß sie nicht das ganze Jahr Arbeit hat. Ihre Schwester arbeitet für das Haus und kann nur wenig mithelfen.
Vorsitzende: Wie lange brauchen Sie zu einem Meßkleid in Seidenstickerei? — Exp. Nr. 161: Zehn Tage. Wenn es mit Gold und mehr fein ist, brauche ich jetzt, wo ich mehr Uebung habe, zwölf bis fünfzehn Tage.
Dr. Adler: Was bekommen Sie dafür? — Exp. Nr. 161: fl. 6 bis 10. Wenn ich aber fl. 10 oder 12 bekomme, muß ich oft 20 Tage oder auch mehr arbeiten.
Vorsitzende: Wer bestimmt den Preis? -- Exp. Nr. 161: Die Dame selbst.