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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Dr. Verkauf: War das der erste Unfall? Exp. Richter: Ja.

Dr. Verkauf: Mir ist bekannt, daß vorher ein gleicher Unfall stattgefunden hat. Exp. Richter: Der war später und war ein leichter.

Dr. Schwiedland: In welchem Zeitraume waren diese zwei Un­fälle? Exp. Richter: Das dürfte in einem Intervall von etwa zwei Jahren gewesen sein.

Dr. Verkauf: Ich glaube, sie waren in demselben Jahre? Exp. Richter: Nein. Die betreffende Arbeiterin, respective die Verlassen- schaft hat sogar einen Proceß angestrengt.

Herrdegen: Wie ist dieser Proceß entschieden worden? Experte Richter: Zu unseren Gunsten, weil wir doch nichts dafür konnten. Sie hat bei der Maschine gar nichts zu thun gehabt, und sie hat auch von der Maschine keine Idee gehabt.

Herrdegen: Sind Kinder zurückgeblieven? Exp. Richter: Die Arbeiterin war ledig und hat ein Kind gehabt. Wir haben nnn für das Kind sorgen wollen. Ich habe mir aber erzählen lassen, daß die Sache sich ganz eigenthümlich entwickelt hat. Der Arbeiterin wurde der linke Arm scalpirt. Sie kam in das Spital, und es wurde ihr nahe gelegt, daß ihr der Arm amputirt werden müsse. Sie hat aber nicht recht ihre Einwilligung gegeben, bis es zu spät war. Am achten oder neunten Tage ist sie gestorben. Nachdem es eine bei uns wohlgelittene Arbeiterin war, haben wir ihre Schwester zu uns berufen und haben das Leichenbegängniß besorgt. Ferner wollten wir für das Kind eine Rente, beziehungsweise einen Erziehungs­beitrag aussetzen. Damit war sie augenscheinlich sehr zufrieden. Nun hat man ihr wahrscheinlich gerathen, sie solle die Sache einem Advocaten über­tragen und im Proceßwege Schadenersatz verlangen. Wir waren davon sehr überrascht, haben die Schwester neuerlich zu uns gerufen. Sie hat sich aber nicht blicken lassen. Dann haben wir den Vormund zu uns gerufen. Der hat erklärt, daß ihm eine Schadenersatzsumme lieber wäre als ein Er­ziehungsbeitrag. In Folge dessen haben wir uns von der Sache zurück­gezogen.

Dr. Schwiedland: In anderen Fabriken beschweren sich die Wäscherinnen, daß der Fußboden glitschig ist. Wie ist es bei Ihnen? Exp. Richter: Das ist unvermeidlich. Wir haben ein eigenes Pflaster und es ist die Anordnung getroffen, daß dreimal im Tage aufgespritzt und die Seife weggeschwemmt wird. Ein Unfall ist bis heute nicht vorgekommen.

Dr. Schwiedland: Die Wäscherinnen haben sich auch darüber beschwert, daß sie oft über ungeheizte Treppen laufen müssen.^ Experte Richter: Das gibt es bei uns nicht. Wir haben überall Lastenaufzüge.

Herrdegen: Sie sagen, wenn Sie Arbeitskräfte brauchen, greifen Sie zur Annoncirung. Was ist die Ursache, warum Sie sich nicht des Ver­eines für Arbeitsvermittlung oder der Genossenschaft bedienen? Experte Richter: Bis heute haben wir daraus keine Resultate erzielt. Wir wenden alles Mögliche auf, um Leute zu bekommen, und sind froh, wenn wir Leute bekommen. Ich bitte, uns nur zu sagen, an wen wir uns wenden sollen. Vom Verein für Arbeitsvermittlung haben wir höchstens drei bis vier Leute bekommen. Wir haben uns schon ein- oder zweimal an ihn gewendet.

Dr. Schwiedland: Wird in der Miederabtheilung bei der Appretur täglich gebüstet? Exp. Richter: Ja.

Dr. Schwiedland: Einen ganzen oder einen halben Tag? Exp. Richter: Den ganzen.

Dr. Schwiedland: Wie viel solcher Büsten haben Sie? Ex­perte Richter: Ich glaube 18.

Dr. Schwiedland: Stehen die in einem Local? Experte Richter: Ja.