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Meistens bleibt die Stechpalme ein Strauch von halber bis ganzer Mannshöhe; nur ausnahmsweise erreicht sie das Doppelte und mehr. In Parkanlagen wird sie gern angepflanzt, vorausgesetzt, daß Boden und Klima ihr Gedeihen ermöglichen. Man zieht von ihr Spielarten mit gelb- randigen und buntscheckigen Blättern, solche die keine Dornenspitzen haben und wiederum solche, bei denen selbst die Oberfläche der Blätter mit Dornen besetzt ist. Im Mai öffnet sie in den Blattwinkeln kleine weiße Blüthen, die nicht unangenehm riechen und in deren Theilen die Zahl 4 Vorherrscht. Am reizendsten nimmt sie sich aber in der Mitte des Win­ters aus, wenn alle andern Gesträuche kahl und blattlos stehen und die Stechpalme als Alleinherrscherin mit glänzend grünem Laube und siegel- lackrothen Beeren aus der weißen Schneedecke hervorschaut.

In manchen Gegenden stellt man am Palmsonntage Zweige von Stechpalmen in der Kirche als Zierde auf. In Westfalen schneiden die Mädchen mit der Scheere den Blättern die Dornenzähne ab und binden sie zu Kränzen, die dann etwas Aehnlichkeit mit Lorbeerkränzen erhalten. Auf dem Schwarzwald sollen die jungen Blätter gelegentlich als Thee, auf Korsika die Samenkerne als Ersatz für den Kaffee benutzt werden. Es erscheint dies nicht so unmöglich, wenn man weiß, daß die Blätter des sehr ähnlichen und nahe verwandten Paraguay-Theestrauchs (Hex xaraZuaz62818) in einem großen Theile Südamerika's in Gebrauch sind und daselbst den chinesischen Thee völlig ersetzen.

Links neben der Stechpalme ist in unserm Weihnachtssträußchen ein Zweig der weißen Mistel (Vi8eum album, Fig. 2), die ebenfalls Winter­grün und außerdem durch mancherlei Absonderlichkeiten ausgezeichnet ist. Die Mistel ist der einzige ächte Vaumschmarotzer, den unsere einheimische Flora besitzt. Die Misteldrossel und andere beerenfreffende Vögel ver­zehren die Beeren und besorgen durch die ausgeschiedenen Kerne die Ver­breitung des Gewächses. Die Samenkerne aller übrigen Pflanzen unsers Vaterlandes enthalten gewöhnlich nur einen Keimling, in denjenigen der Mistel sind aber häufig deren 2 bis 4 vorhanden.

Durch Regen und Thau gespeist treibt ein solches Korn Würzelchen, die über todtes Holz gleichgültig Hinwegkriechen, auf lebendiges Astholz aber in merkwürdiger Weise einwirken. Die von ihnen berührte Aststelle beginnt in ähnlicher Art aufzuschwellen, wie wir es beim Stich von Gall­wespen an Blättern und Zweigen bemerken. Es lockert sich das Gewebe der Rinde und des jungen Holzes und die Mistelwurzeln dringen in den