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Modelle? was sind das für Dinger? wozu braucht man denen Kleider anzuziehen?"

Das waren nun Fragen, mit welchen sich Mancher heute Abend den Kops zerbrach. Meine jungen, gebildeten Leserinnen, besonders die­jenigen, welche in Künstlerstädien wohnen, sollen nicht allzu spöttisch das Köpfchen schütteln über die Unwissenheit meiner armen Dorfbewohner, zu welchen noch niemals ein Maler mit dem nothwendigen Apparat seiner Kunst getreten ist. Kein Ort ist so arm und abgelegen, um nicht auch interessante Erlebnisse und Erfahrungen ausweisen zu können und wir wollen uns nicht abhalten lassen nach ihnen auch in meinem einsamen Gebirgsdörflein zu forschen.

2. Die Freundinnen.

Etwa acht Tage später eilte abermals ein Fuhrwerk über den Weg am Walde dem einsamen Dörflein zu. Diesmal aber war es ein schmuckes, schneeweißes Rößlein, das vor einem leichten, offenen Wagen mit schnellen, unmuthigen Schritten durch den Glanz des Sommerabends trabte. Ein junger Bursche saß auf dem Bock, mit einer Hand den Zügel lenkend, mit der andern zuweilen ein krummes Hörnlein an den Mund setzend, zu dem freilich meist vergeblichen Versuch eine regelrechte Melodie heraus zu pressen.

Nach und nach konnte man jedoch eine Weise aus den heiseren Tönen zusammensetzen und es war die wehmüthige des schönen Liedes:

Ich hatt' einen Kameraden,

Einen bessern find' ich nit."

So unvollkommen sie heraus kam, schien sie dennoch das Herz der im Wagen Sitzenden eigenthümlich zu bewegen. Sie war eine schlanke, feine Mädchengestalt, von Kopf bis zu Fuß in einfaches Schwarz gekleidet. Die dunklen Bänder des Reisehutes umrahmten ein bleiches, vornehmes Angesicht, aus dem ein paar große Nachtigallaugen jetzt durch einen Schleier von Thränen hinausblickten.

Das Dörflein zeigte sich ihr eben mit dem schlanken Kirchlein darüber in der freundlichsten Schau. Es lag ganz von hohen Bergen eingeschlossen und mit grünen Feldern und Wiesen umhegt. Durch das Thal schlängelte sich in sanften Biegungen ein kleiner Strom mit durchsichtig klarem Wasser­spiegel; von einem tannenumpflanzten Hügel blickte eine gothische Kapelle, ernst und lieblich wie ein Gedicht von Uhland, dem Betrachtenden entgegen.