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war das Dorf gewesen, die Natur die erste Lehrerin, welche die poetische Stimme ihres Herzens weckte und bildete.

Mercedes dagegen war in den vornehmen Kreisen einer großen Stadt erzogen, und unter der Leitung berühmter Meister hatte sich ihr bedeutendes Talent für die Malerkunst entwickelt. Dennoch saß die gebil­dete Stadtdame wie eine Schülerin zu den Füßen des genialen Dorfkindes und Elisabeth's Schilderungen aus ihrem Land- und Jugendleben mochten viel dazu beigetragen haben, daß Mercedes sich immer entschiedener dem Gebiete der Genremalerei zuwandte und sich zuletzt nur allein darin bewegte.

Manches liebliche Bild war in der Nähe der geliebten Freundin schon auf der Staffelei der Künstlerin entstanden und mit Beifall von dem Publikum aufgenommen worden. Elisabeth's volltönende Lieder klangen ihr ermunternd zu aus ihrem ruhmvollen Wege und ihr Beifall war der höchste Ruhm, nach dem sie strebte. Ihr weiches Gemüth schmiegte sich an den hochstrebenden, kühnen Geist der Dichterin, wie eine zarte Ranke einen kräftigen, frischgrünen Baum umschlingt. Der Segen einer edlen Liebe war sichtbar in allem Thun und Treiben der beiden Freundinnen und breitete sich wie ein wohlthuender Zauber über den ganzen Kreis, in welchem sie lebten und wirkten.

Doch es giebt ein altes, trauriges Lied, das gewiß jedes Menschen­kind einmal in sein Leben hinein klingen hört. Es heißt:

Es ist bestimmt in Gottes Rath,

Daß man vom Liebsten, was man hat,

Muß scheiden!"-

Auch Elisabeth mußte scheiden von ihrem holden Liebling, als des Todes gebietende Stimme sie plötzlich von der Erde abrief nach dem unbekannten Jenseits. Und da schien der armen Mercedes das Leben auf einmal ganz öde und leer geworden zu sein; die Mauern der Stadt drückten sie, wo die geliebte Stimme, das frischeste Lied ihres Lebens verklungen war, sie mochte die Straßen nicht mehr betreten, in welchen die Schritte der Freundin nicht mehr die ihrigen begleiteten. Sie sehnte sich fort von der schaurigen Stätte, wo sie den Sarg hatte stehen sehn, der ihr auf immer die theuerste Erdengestalt verdeckte.

Nach dem stillen Dorf, wo die Jugend Elisabeth's noch wie ein frisches Volksmärchen in den Erzählungen der älteren Bewohner lebte, richteten sich alle Gedanken der Traurigen. In seiner unbelauschten