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Einsamkeit wollte sie ihren Schmerz ausweinen und hoffte zugleich unter dem Volk, in dessen Mitte die Freundin eine so frische Jugend verlebt, die Gestalten zu ihren künftigen Bildern zu finden, neue Belebung für die Kunst, die jetzt ihre einzige Begleiterin auf dem einsam gewordenen Lebensweg werden sollte, zu empfangen.

Sie hatte, wie wir wissen, ihr Haus- und Malergeräthe schon voraus geschickt zu der einzigen Verwandten Elisabeth's, einer Wittwe mit ihren Töchtern, die noch in dem Dorfe wohnten und in deren Schutz sie künftig zu leben gedachte. Nun war sie selbst am Ziel ihrer Wünsche und es wurde ihr seltsam zu Muth, als sie den Raum überblickte, in welchem sie so oft schon im Geiste mit der Freundin gewandelt, als wäre er ihre eigne Heimath. Ach! auch diese Heimath war ihr einsam geworden. Ich hatt' einen Kameraden!" flüsterte sie den stammelnden Klängen des Horns nach, als sie durch die Straßen fuhr.Ich habe ihn nicht mehr diesen treuen, tapfren Kameraden; aber ich will wandeln auf Deinen Pfaden, meine Elisabeth! von Deinem Geist geleitet und berathen, ich will wohlthun denen, unter welchen Du gelebt, ich will durch Liebe und Hingebung die Spuren Deines Daseins auf Erden segnen!" So lautete das stille Gelübde der edlen Künstlerin.

Auch jetzt öffneten sich alle Fenster in den Straßen, durch welche das weiße Nößlein trabte mit Hellem Gewieher, und die Dorfjngend versam­melte sich abermals in reicher Zahl um den Wagender Malerin." Denn daß sie es war, die darinnen saß, war kein Zweifel, da es schon im ganzen Ort bekannt geworden, daß man sie heute bei Forstmeisters erwartete. Aber es herrschte doch selbst unter den kleinen Zuschauern eine gewisse ehrerbietige Stille, als das edle, blasse Antlitz sich grüßend hier und da aus dem Wagen neigte, und kein lauter Zuruf, kein verwun­dertes Wort, wie damals bei der Ankunft ihrer Möbel, begleitete die Fahrt der jungen Dame durch das Dorf. Und da sie an dem uns schon bekannten Hause ausstieg, als Frau Bergheim heraustrat die Ein­ziehende zu begrüßen und die beiden Frauen sich lange umschlungen hielten und dann stillweinend mit einander durch die Thüre verschwanden, da ging es wie eine Ahnung durch die jungen, wie eine Gewißheit durch die älteren Herzen der Zuschauer der kleinen Scene, daß diese Erscheinung ein ernstes Lebensgeschick unter sie geführt, daß sie die Glorie eines edlen, großen Schmerzes umgebe, die selbst dem Rohsten Ehrfurcht und beschei­denes Zurücktreten gebiete. _