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Einige junge Mädchen hatten gleich herausgebracht, daß der Rand des runden Strohhutes, welchen die Künstlerin zum Schutz vor der Sonne trug aus ihren Gängen durch Berg und Thal, wenigstens zwei Finger breiter sei, als es Mode war. Das Band darauf hatte auch nicht die vorschriftsmäßige Länge und die Schleife saß ganz anders wie auf den Abbildungen im letztenBazar", der regelmäßig in das Dörfchen einzu­laufen pflegte und mit großen: Eifer studirt wurde. Die Tyrannei der Mode herrscht leider auf dem Lande wie in der Stadt, ja sie gestaltet sich hier oft noch aus eine viel lächerlichere Weise, weil sie der einzige Weg ist, auf welchen: man mit der Zeit fortzuschreiten vermeint und deshalb ein Uebriges thut, um nicht zu den Zurückgebliebenen gezählt zu werden.

Indeß schien- der Spruch:Kleider machen Leute" völlig bei der bescheidenen Mercedes zuschanden zu werden. Die Bewohner des Dorfes, bei denen sie nach und nach Besuche machte, waren verwundert wie man bei so schlichtem Wesen dennoch so vornehm aussehen könne. Sie mußten sich gestehen, daß diese seine Gestalt wie eine Prinzessin unter ihnen stand in dem einfachen schwarzen Kleide und dem unmodischen Hut, der sie-so schön kleidete, daß man sich keinen anderen auf dem unmuthigen Haupte denken konnte.

Und ob sie gleich fast gar nicht von ihrer Kunst, von Bildern und Büchern und anderen ästhetischen und gelehrten Dingen sprach, was man doch mit Bestimmtheit erwartet und sich darauf vorbereitet hatte, sich vielmehr nach den Interessen und Beschäftigungen des Landlebens erkun­digte, so war es doch Allen, als ob die schlichten, einfachen Worte etwas wunderbar Schönes und Gutes in der Seele geweckt hätten. Der sanfte Klang ihrer Stimme tönte noch in der Erinnerung nach wie eine rührende Musik und. der seelenvolle Blick ihrer Augen blieb zurück wie milder, beruhigender Mondschein. Sie gab viel zu denken die bescheidene Mercedes und man fand, daß man sich eine Künstlerin ganz anders vor­gestellt hatte.

Aber auch Mercedes hatte sich Vieles in dem Leben auf dem Lande anders gedacht; auch ihre Erwartungen sollten abwechselnd niedergedrückt und emporgehoben werden, wie wir im Verlauf unserer Geschichte ersehen werden. Ist doch das ganze Leben auf Erden nur eine Schule, in welcher der Erwachsene so gut wie das Kind auf der Lehrbank zu sitzen und ge­duldig das Ende des Unterrichts abzuwarten hat, wo stets etwas Neues, Unbekanntes vor seine Seele tritt und er sich bescheiden sagen muß:das