118

Grübeln geneigt, die nebelhafte Atmosphäre enger Thäler und die oft so düstere Einsamkeit der srühen winterlichen Tage erwecken krankhafte Stim­mungen, in welchen irrige . Vorstellungen leicht zu dämonischen Gestalten wachsen und dem Seelenleben Gefahr bringen.

So war ja auch schon die Gliederpuppe eine gespenstige Gestalt geworden und blieb trotz aller Erklärungen und aller Einsicht der licht­freundlichen großen und kleinen Menschenkinder ein Hinderniß für Mer­cedes' Modelle. Nicht nur die Kinder, selber die Großen wagten sich nur mit ängstlicher Scheu in das Zimmer, wo die unschuldige Puppe so still und geduldig saß und weder Hand noch Fuß bewegte. Selbst als ein Vorhang sie umhüllte, blieb doch das Grauen, wurde sogar noch oft ge­steigert, indem alsdann die Phantasie freien Spielraum hatte und sich die verborgene Erscheinung so schauerlich wie nur möglich ausmalte. Da aber mit demGruseln" sich stets eine gewisse, unbezwingliche Neugierde zu verbinden pflegt, so konnten die kleinen, ja selbst die älteren Modelle es trotz aller Furcht nicht lassen, zuweilen, wenn die Malerin einmal nicht zugegen war oder in ihr Bild vertieft, sie gerad' nicht beobachtete, den geheimnißvollen Vorhang empor zu heben, ein Wagstück, das gewöhnlich ein mordmäßiges Geschrei zur Folge hatte und wobei auch hier und da Einer an einen zerbrechlichen Gegenstand stieß und so der geplagten Künstlerin mehr wie einen Schaden und Verdruß, desgleichen Schreck ver­ursachte.

Dieser Umstand hatte die schelmische Frau Kathrin, welche bei dem täglichen Verkehr mit allen Gegenständen des Ateliers kdine Furcht mehr kannte und dabei ihre freundliche Herrin mit jedem Tage lieber gewann, zu einem muthwilligen Einfall veranlaßt. Sie gab eines Tages der großen Puppe eine lange Ruthe in die Hand und brachte ihren Arm durch eine daran befestigte Schnur in Verbindung mit dem Vorhang, so daß bei jedem Aufheben desselben sie drohend die Ruthe dem neugierig Hineinschauenden entgegenhob.

Die gute Mercedes ahnte natürlich nichts von dieser geheimen Vor­kehrung; Frau Kathrin aber, die an diesem Morgen den ungezogensten aller Bengel aus jenem Hause, das trotz allem noch immer der Künstlerin die schönsten Modelle lieferte, bestellt hatte, war durch ihn ihres Erfolges ganz sicher und konnte kaum erwarten, davon berichten zu hören.

Zufällig aber war an diesem Morgen statt der Mutter ein junges Mädchen aus dem Dorf mitgekommen, das willig genug gewesen war,