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Und das war recht garstig von Ihr, Frau Sander!" platzte plötzlich Kathrin ganz zornig heraus.Nehm' Sie mir's nicht übel! Sie ist zwar eine standesmäßige Person und wohl noch mehr wie Unsereins, aber das hätt' ich Ihr doch nicht zugetraut. Das ist schlecht gegen den Aberglauben gekämpft und auch schlecht gegen Ihre Christenpflicht gehandelt, wenn Sie Verdacht bei den dummen Leuten weckt gegen das Fräulein, das ein wahrer Engel ist, und Ihr werdet es noch Alle erleben, daß sie uns nur zum Segen ins Dorf gekommen ist. Von der kann man was lernen, man muß sich alle Tage schämen, daß man so grob ist, wenn man ihr nur in das sanfte, feine Gesicht sieht und ihre liebe Stimme hört."

Nun, Bescheidenheit habt Ihr gerad' nicht von ihr gelernt," geiferte die gereizte Alte,wir wollen sehen was das Schlaraffenleben und das Spielen mit der Puppe für Segen in Euren Haushalt bringt."

Ja, das wollen wir sehen, und es geht Keinen was an!" Mit diesen Worten warf die resolute Kathrin die Thüre der bösen Frau heftig hinter sich zu und schritt in großer Aufregung ihrem bescheidenen Hüttchen zu. Sie fürchtete doch mit ihren Neckereien zu weit gegangen zu sein und daß die böse Alte es im Ernst zu schlimmen Deutungen brauchen könnte, was sie nur im Scherze gesagt hatte vom Schlaraffen­leben, Spielen mit der Puppe, den Heinzelmännchen u. dgl.

Auch erfuhr sie, daß wirklich jenes Mädchen, Müllers Anna, heftig erkrankt am Scharlachfieber darnieder liege. Es war überhaupt eine böse Zeit im Dorfe, der Herbst brachte früh kalte, nebelige Tage, welche die schlimmen Krankheiten beförderten, die der Krieg in Deutschland zurückgelassen. Auch durch die frische Luft der Gebirge drang der pest­artige Hauch der Blattern; Nerven- und Scharlachfieber schlugen ihre schauerliche Lagerstätte auf in den ländlichen Wohnungen. Dabei herrschte eine große Unvorsichtigkeit in der Vermeidung der Ansteckung, der alle fürsorglichen Anstalten nicht entgegenzuwirken vermochten. Man hielt es für Pflicht die kranken Nachbarn zu besuchen, selbst wenn man ihnen keine Pflege zu leisten nöthig hatte, den Todten das Geleit zum Grab unter allen Umständen zu geben. Ja es herrschte sogar die schaurige Sitte, daß, wenn Einer gestorben war, die jungen Mädchen aus der Nachbarschaft zusammen kamen, um die Leiche zu waschen und anzukleiden. Gewiß lag eine wackere Gesinnung dieser Sitte zu Grunde, aber leider konnte man nicht einsehen, daß in solchen Zeiten der Ansteckung dieselbe vor der Pflicht des allgemeinen Wohles zurücktreten müsse.