In der Sommerzeit fand Mercedes Trost und Freude in der Natur; aber nun sah sie sich auf einmal und ungewöhnlich früh von den Schreckcn eines nördlichen Winters umgeben. Sie hatte früher nie in den Bergen gelebt; so lange sie im Sommerschmuck gestanden, von Blumen und Son- nenglanz erhellt und von Vogelgesang belebt, waren sie hier ihre liebsten Freunde gewesen, in deren grüner Waldeinsamkeit sie oft den Schmerz ihrer Seele ausgeweint und Trost gefunden. Nun aber hatte sich eine kalte, farblose Decke über die stolzen, sonst so frischgrünen Gipfel gelegt, ja zuletzt verschwanden sie ganz dem Auge unter den dichten Schneewolken, die sich mit jedem Tage schwerer vom Himmel auf sie herabwälzten und wie ein Bahrtuch in die Thäler vor ihnen herunterfielen. Schnee unten Schnee oben ringsum so weit man sehen konnte nichts als Schnee, aus dem jeder Gegenstand sich mühsam emporheben mußte und die blätter­losen Bäume wie schwarze Gerippe heraus sahen. Felder und Wiesen nicht mehr belebt von heiterem Sichel- und Sensenklang verstummt der Büchlein melodisches Murmeln, des Stromes Rauschen eine laut­lose Stille, nur zuweilen unterbrochen von dem heiseren Geschrei der Naben oder dem Niederfallen der kleinen Lawinen von den Dächern und Bäumen, das, so ungefährlich es auch war, doch stets die arme Mercedes an das Herabrollen der Erdschollen auf einen Sarg erinnerte. Es kam ihr vor, als lebe sie auf einem großen, einsamen Todesacker und oft, als wäre sie selber schon gestorben. O wie sehnte sie sich zurück in das gesellige Treiben der Stadt, wo dieses schreckliche, starre Leichentuch des Schnee's so schnell vernichtet war unter den Schritten einer geschäftigen Menschenmenge und auch schneller zerfloß von den Strahlen einer wär- . meren Wintersonne! Eine todesbange Traurigkeit kam über sie, wenn sie des Abends durch das Dorf ging, wo kein Schritt auf dem festge­frorenen Wege schallte, oder sie nur hier und da den schwerfälligen Fuß­tritt eines Wanderers, wohl gar eines Betrunkenen hörte, wo kein Gesang, kein wohlthuendes Instrument durch die Straßen grüßte, nur der Schein trüber Oellämpchen einen melancholischen Blick aus den engen Fensterchen oder geschlossenen Läden der niederen Hütten warf, statt des reichen Lichter­glanzes, den die belebte Welt ihrer schönen Stadt am Rhein des Abends so lieblich erhellte, wenn'sie an Elisabeth's Arm durch die Straßen schritt und mit ihr all' die bunten Bilder wie durch eine Zauberlaterne betrach­tete. Ihre melancholischen Augen ruhten auf den armen Hütten und sie dachte:Da sitzen nun diese Menschen den ganzen langen Abend in