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Die ersten Strahlen der Sonne verbreiteten ihren Schimmer durch das stille Krankengemach, über die schönen Bilder an den Wänden und über die Seele der Genesenden, die still in ihre Gedanken versunken da­lag, als die Freundin hinausgegangen war.

Ich weiß jetzt," sagte sie vor sich hin,was das Tiefste und Reichste ist es ist der Born der Liebe in einer reinen, ursprünglichen Menschennatur, und der Künstler, der nicht aus ihm zu schöpfen versteht, gleicht dem Kinde, das nur schöne, glänzende Seifen­blasen in die leere Luft hinaus bildet."

Die Tage der Genesung legten sich wie sanfte Friedensschwingen über Mercedes' Leben. Sie hatte wieder eine Freundin gefunden; und wenn es ihr in der ersten krankhaften Stimmung nach Elisabeth's Tode wie ein Frevel vorgekommen wäre, sich wieder einem anderen Menschen­herzen in Liebe anzuschließen, so schien es ihr jetzt, als habe die Verklärte selber ihr den Engel gesandt, der sie in ein neues Leben führen solle.

Wie lernte sie den Werth der neuen Freundin kennen in dieser Zeit, wo sie ihr in vertraulichen Unterhaltungen allmälig ihren ganzen Lebens­gang mittheilte! Welch' eine Charakterstärke zeigte sich ihr in dem ganzen Thun und Treiben der wackeren Frau, die mit einem feinen, für alles Schöne und Liebliche empfänglichen Gemüth die harte Noth des Lebens überwunden und mit wenigen äußeren Mitteln die Erziehung der Kinder geleitet! Sie sah, wie sie tagtäglich sich selbst vergessend nur für An­dere lebte und allen Bedürftigen Rath und Hilfe gewährte. Ohne den Grad der Bildung zu besitzen wie die Menschen, unter welchen Mercedes bis jetzt gelebt, schien sie ihr doch den Meisten überlegen in der feinen Weise, dem richtigen Takt, wo es galt handelnd in's Leben zu greifen. Sie empfand die Wahrheit des Wortes, das Auerbach eine seiner Hel­dinnen sagen läßt:Die echte Bildung ist Gemüthlichkeit. Denn was ist Bildung? Die Kraft sich in die Zustände eines Anderen zu versetzen und seine eigenen Zustände wie fremde anzusehen."

Mercedes fühlte, diese Bildung müsse sie selbst noch lernen, auch um eine vollendete Künstlerin zu werden. Sie hatte bisher in ihren Bildern nur ihrem eigenen Gemüthsleben das einfache Gewand des Bauernlebens umgeworfen, weil es ihrem einfachen Sinne zusagte, und die Bilder hatten gefallen, weil dieses Gemüthsleben ein so schönes war und sie es so

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