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rakter des Dorfes annahm, in welchem sie jetzt lebte. Die Begegnung mit der alten Jungfrau oben auf der Kapelle und deren Erzählung hatte sie veranlaßt ihrem Sonntagmorgen den festlichen Glanz eines Sieges­festes zu geben, welches die Dorfbewohner nach dem letzten, großen Kriege gegen Frankreich feierten. Sie wartete nun noch besonders auf das Erscheinen des Frühlings, um dem Bilde den landschaftlichen Hinter­grund und die Beleuchtung eines sonnigen Himmels zu geben. Ein Besuch mit dem kleinen Kaspar bei der alten Großmutter aber gab ihr den Gedanken zu der Komposition eines zweiten Bildes, das sie abwech­selnd mit jenem zu malen gedachte.

Die alte Frau hatte ihr so viel von Elisabeth erzählt und besonders den Morgen nach der Ankunft der Drillinge, wo das edle Mädchen wie ein rettender Engel in ihre Hütte getreten war, mit so jugendlicher Leb­haftigkeit geschildert, daß alsbald die ganze Scene als ein fertiges Bild vor dem Auge der Künstlerin stand. Kaum zu Hause angekommen, ent­warf sie eine Skizze davon, die ihre Freunde entzückte und ihr selbst wohl- gefiel. Sie konnte kaum die Zeit erwarten, das neue Bild zu beginnen, besonders da es ihr nicht mehr an Modellen fehlte. Das so sehr von ihr und Elsbeth belachte Anerbieten des kleinen Kaspars zeigte sich wirklich annehmbar. Seine Geschwister, alle viel hübscher als er, konnten aller­liebste Modelle zu ihren damals noch kindlichen Tanten und Onkels abgeben; eben so war der Hausherr zum Bild des Todtengräbers, die Hausfrau zu dem der jungen Drillingsmutter trefflich zu verwenden, und daß Alle mit Begeisterung zu ihren Modellpflichten bereit waren, läßt sich denken von einem so dankbaren Familienkreis. Elisabeth's Jugend­gestalt aber stand so blühend und klar vor dem Geiste der Künstlerin, daß sie kein Urbild derselben zu suchen brauchte.

Wie lebte Mercedes auf in dem neuen Schaffenstrieb, der in ihr erwacht war und täglich genährt wurde durch den näheren Umgang mit den Bewohnern des Dorfes, die sie nun an der Seite ihrer Hausgenossen, auf eine ganz andere Weise wie früher kennen und verstehen lernte. Ein tragischer Vorfall aber sollte sie besonders zu einer innigeren Ver­einigung mit ihnen führen.

Frau Kathrin, welche eine lebendige Chronik aller Dorfbegebenheiten für Mercedes war, trat eines Morgens mit auffallend bleichem Gesicht in das Zimmer und sagte:Ach Fräulein! denken Sie sich, der Schreiner- Franz ist verloren gegangen! Er hat gestern seinem Vater, der in die

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