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haben wußten. Das Wasser benetzte bereits die Füße der unglücklichen Leute und verhieß ihnen den unvermeidlichen Tod.

Gegenseitig von einander Abschied nehmend, küßten sie noch einmal ihren lieblichen Säugling, den sie nicht früher, als es durchaus nöthig war, seinem warmen Bettchen entreißen wollten, falteten die Hände zum Gebet, um dem lieben Gott im Himmel ihr Seelenheil zu empfehlen, als sie plötzlich in der Ferne einen herannahenden Nachen gewahrten und ihre Lebenshoffnung auf's Neue angeregt wurde.

Anfangs arbeitete der Kahn sich nur langsam durch die Eisschollen und das Wasser stieg leider von Augenblick zu Augenblick; doch jetzt näherte er sich schneller und schon glaubten die Armen mit Bestimmtheit errettet zu sein.

Aber, o Gott im Himmel! Ein entsetzlicher Schrei entfuhr dem Munde beider Eltern; eine mächtige Eisscholle hatte die Gallerie des Daches durchbrochen, die Wiege mit ihrem einzigen Kinde erfaßt und schnellte sie jetzt mit furchtbarer Gewalt in den reißenden Strom. Sie selber umklammerten im Augenblicke der Gefahr ganz unbewußt den Schornstein und waren dadurch wenigstens vorläufig demselben Schicksal entgangen.

Die armen, armen Eltern! Vor ihren Augen und der Rettung nahe sahen sie ihren Liebling dem sicheren Tode entgegen gehen und konnten ihm keine Hilfe bringen, nicht einmal die letzte Stätte ihm bereiten.

Mit Verzweiflung sahen sie der Wiege nach, die schnell von dannen trieb, und schon wollte die unglückliche Mutter derselben nachstürzen, als der Rettung bringende Kahn anlangte und man die beiden trostlosen Menschen in denselben hineinbrachte. Mit herzbrechendem Jammer klagten sie den Ruderern ihr Schicksal und baten flehentlich, nichts für die Er­rettung ihres Kindes unversucht zu lassen.

Indessen war wenig Hoffnung für dieselbe vorhanden, denn es ließ sich voraus sehen, daß, wenn die Eisschollen die Wiege nicht zertrümmerten, sie der tobende Strom in das Meer schnellte.

In verhältnißmäßig kurzer Zeit langte der Nachen in Graudenz an, und der Bauer und seine Frau, die vor Kälte, Angst und Aufregung erstarrt waren, wurden einer Familie, die sich zu ihrer Aufnahme bereit erklärt hatte, übergeben.

Von der Wiege war nicht mehr das Geringste zu sehen; sie war schon in kurzer Zeit den Augen der Nachschauenden entrückt worden.