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kam Velten sie abzuholen, dieweiße Dame" zu hören; er bat sie aber sich ein wenig mit dem Anzug zu beeilen, denn es sei schon-spät und er möchte die Ouvertüre nicht versäumen. Lucie, welche die Musik leiden­schaftlich liebte, war hocherfreut, allein mit dem schnellen Anziehen wollte es nicht recht gehen. Hier fehlte ein Band, dort ein Knopf keine Nadel war bei der Hand und nun gar die Handschuhe! wo mochten sie nur geblieben sein? Endlich ward denn doch Alles gefunden, aber Veltens heitere Stimmung war dabei verloren gegangen. Der Gang nach dem ziemlich weit entfernten Theater wurde fast schweigend zurückgelegt; dort angelangt, griff Lucie zufällig in ihre Tasche und entdeckte, daß sie den Schlüssel zum Speiseschrank eingesteckt hatte. Velten bemerkte ihre etwas bestürzte Miene und fragte nach der Ursache, welche Lucie ihm zögernd gestand.Nun dann müssen wir natürlich zurückgehen," sagte er verstimmt; unmöglich kann ich es zugeben, daß Deine Mutter den Thee zu ihrer gewohnten Stunde entbehrt." So sah Lucie sich genöthigt den bereits abgelegten Hut und Mantel wieder umzunehmen und nach Hause zurück­zukehren. Velten begleitete sie bis vor ihre Thüre und empfahl sich dort zum Theater war es viel zu spät geworden. Lucie aber hatte nicht allein den so sehr erwünschten musikalischen Genuß und den frohen Abend in Gesellschaft ihres Verlobten verloren, sondern noch das drückende Gefühl, Velten nach einem Tage angestrengter Arbeit um eine Freude betrogen und ihm statt dessen empfindlichen Verdruß bereitet zu haben.

Aehnliche Scenen wiederholten sich öfter, und immer ernstlicher und bedenklicher wurde Velten dabei, bis er eines Tages Lucie förmlich erklärte, er müsse ganz entschieden auf eine Aenderung ihres Wesens be­stehen, oder der Verbindung mit ihr entsagen; er müsse es als einen Mangel an Liebe ihrerseits erkennen, wenn sie seinen wiederholten Bitten und dringenden Vorstellungen kein Gehör schenken wolle. Lucie, empfindlich verletzt, antwortete kalt und so schied das Paar am Abend.

Am andern Morgen kam Velten eilig und verstört, Abschied von seiner Braut zu nehmen; er hatte einen Brief mit der Meldung erhalten, daß seine Mutter im Sterben liege und ihn noch zu sehen verlange. Lucie, welche ihn nicht so früh erwartet hatte, befand sich noch im Morgen- Anzüge. Die Haare kamen ungeordnet unter einem nicht allzu sauberen Häubchen zum Vorschein der Kragen saß schief und.in dem Aermel des Kleides war ein ziemlich großes Loch sichtbar. Ein peinlicher Anblick für den so streng ordentlichen Velten!Lucie," sagte er, doppelt erregt