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durch die eben empfangene Nachricht und durch die Erinnerung an die Unterredung des vorigen Abendsich beschwöre Dich in Liebe, meiner selbst und meiner Wünsche zu gedenken es wäre uns sonst besser, wir sähen uns nicht wieder." Lucie reichte ihm schweigend die Hand. Veltens letzter Blick fiel auf das unglückliche Loch im Aermel und fort eilte er zur Eisenbahn.

Die Mutter war noch am Leben, als Velten zu ihr kam. Die Freude, den geliebten Sohn wiederzusehen, verlieh ihr für kurze Zeit erneute Kräfte. Tief und eingehend waren ihre Fragen, Lucie betreffend. Velten konnte ihrem liebevollen Eindringen nicht ausweichen; er gestand ihr seine Sorge um Lucie's leichten Sinn, seine Betrübniß wegen der Achtlosigkeit, die sie seinen ernsten Bitten gegenübersetzte. Frau Velten war ohnehin schon gegen die Verbindung mit der Tochter eines Mannes eingenommen, von dessen Leichtsinn sie verschiedene Beispiele gehört hatte. Sie selbst hatte in ihrer frühen Jugend die Erfahrung gemacht, wie Leichtsinn und Unordnung der Hausfrau das eheliche Glück vollständig untergraben können. Ihr Vater hatte sich von seiner Frau darum scheiden lassen und die strenge Ordnungsliebe und Pünklichkeit in allen Dingen, welche Frau Velten auszeichneten und welche sie gewußt hatte auf ihren Sohn zu übertragen, waren unzweifelhaft das Ergebniß des abschreckenden Beispiels und der ernsten Lehre, welche sie in zarter Jugend empfangen hatte. Inbrünstig beschwor sie den geliebten Sohn, sein Lebensglück nicht auf einen so schwachen Grund zu bauen, als die Hoffnung auf Lucie's Besserung gewährte. Velten konnte sich zu dem Versprechen, das Ver­hältniß zu seiner Braut zu lösen, nicht verstehen, aber feierlich gelobte er, nicht eher das Ehebündniß mit ihr zu schließen, als bis er Beweise von ihrer Umkehr zur Ordnung und treuer Pflicht-Erfüllung erhalten hätte. Kurz nach diesem Gespräch, das die Kräfte der Sterbenden wohl erschöpft haben mochte, hauchte Frau Velten ihren letzten Seufzer aus.

Velten zeigte Lucie seinen Verlust an und theilte ihr in einen: späteren Briefe die letzte Unterredung mit seiner Mutter und sein Ver­sprechen an dieselbe mit. Er fügte viele gute und herzliche Worte hinzu, aber Lucie nahm leider seine offene Aussprache nicht richtig auf. Ihr Leichtsinn hinderte sie die tiefe Bedeutung ihrer Fehler zu begreifen und ihre Eitelkeit war verletzt. Sie schalt Velten einen kalten Pedanten, der sich durch die Vorurtheile einer alten, nach ihrer Meinung beschränkten und allzustrengen Frau beherrschen ließ, und die Bitterkeit, welche sie