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so hart! Ich will nie wieder meine Meinung über Gretchen aussprechen, ich will sie durch keinen Blick und keine Aeußerung kränken."

Das erwarte ich," erwiderte Tante Anna ruhig.Ich verlange aber noch mehr, ich will, daß Du Dein hochmüthiges Herz besiegen und Demuth lernen sollst. Erst dann, wenn dies geschehen, darfst Du wieder zu mir kommen. Jetzt gehe zurück in Eure Stube."

Emma stand weinend da, Stolz und Liebe zu Tante Anna kämpften in ihr; die letztere siegte, Emma trat näher zu der Vorsteherin, sie wollte ihr zeigen, daß sie demüthig sein konnte, daß sie besser war als Tante Anna glaubte.Ja, ich verdiene eine Strafe," flüsterte sie,es war unrecht, daß ich Ihnen nicht gehorchte, daß ich gestern so über Margarethe sprach. Vergeben Sie mir, es thut mir sehr, sehr leid."

Thut es Dir leid, daß Du ihr so wehe thatest?" fragte Tante Anna freundlich.Willst Du mir glauben, daß ich sie bester kenne als Du, daß Du ihr unrecht gethan hast?"

Emma senkte den Kopf, nein, so weit ging ihre Demuth nicht. Tante Anna blickte sie traurig an.Meine arme Emma," sagte sie schmerzlich, Du dauerst mich, ich weiß, daß Du einst mit tiefer Beschämung an diese Zeit zurückdenken wirst. Und nun kein Wort mehr darüber. Du weißt, wann wir wieder über diese Sache sprechen werden."

Sie hatte sich dabei erhoben, Emma wollte ihr einen Kuß geben, aber sie zog sich zurück, und ihr Blick sagte, daß Emma in der That kein Wort mehr sprechen dürfe, sondern nun gehen müsse. Sie verließ das Zimmer, aber im Korridor hielt sie an und weinte, als wolle ihr das Herz brechen. O wie schmerzlich war das Bewußtsein, daß sie die zärtlich geliebte Tante Anna betrübt hatte und von dem vertraulichen Verkehr mit ihr ausgeschlossen war. Sie ist hart gegen mich, dachte Emma, sie ver­kennt mich und täuscht sich in Gretchen. Wie kann sie von mir verlangen, daß ich um Verzeihung bitten und gestehen soll, daß ich unrecht gethan, wenn ich doch nur meine Ueberzeugung ausgesprochen habe. Daß ich Tante Anna ungehorsam war und nicht schwieg, das war unrecht, aber wenn ich klarer sehe als Andere, das ist kein Unrecht, und doch muß ich deswegen leiden. Ach wäre diese Margarethe doch nicht hierhergekommen.

Diese Margarethe" betrat eben den Korridor und war sehr bestürzt, als sie Emma hier stehen sah. Das Mitleid überwand ihre Scheu und Abneigung, sie trat näher und fragte theilnehmend:Liebe Emma, was fehlt Dir?"