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Für mich wäre das keine Strafe, ich ließe mir kein graues Haar darum wachsen," meinte die leichtsinnige Adele.

Dich würde Tante Anna auch nicht so bestrafen, Du Kobold," sagte Johanna,für uns aber, die wir sie lieben und verehren, giebt es keine größere Strafe."

Darin hast Du recht," sagte Gretchen einverstanden.

Uebrigens," fuhr Johanna fort,was die Theeabende anbetrifft, so können wir Andern uns auch nicht rühmen, öftere Einladungen dazu zu erhalten. Seitdem Tante Anna damals zu uns sagte: Ich bin sehr un­zufrieden mit euch, ist noch Niemand aus der dritten Stube zu ihr ein­geladen worden, außer Gretchen und Aurelie."

Ach, an wie vielem Unheil bin ich schuld!" sagte Gretchen traurig.

Ei, Du kannst nichts dafür, es ist allein unsere Schuld," rief Jda. Aber wenn Du uns einen Gefallen thun willst, so sprich einmal mit Tante Anna, sage ihr, daß wir jetzt anders gegen Dich sind und bitte sie um einen Theeabend für uns."

Das versprach Gretchen auf das Bereitwilligste. Ihr war das Herz ganz schwer geworden es that ihr unbeschreiblich leid, daß Emma, deren Liebe zu Tante Anna sie kannte, ihretwegen so bestraft sein sollte. Sie überwand den Groll in ihrem Herzen und als sie Emma einmal im Garten traf, trat sie zu ihr und wollte ihr Versöhnung antragen, aber sie konnte nur wenige Worte sprechen. Emma maß sie mit einem stolzen Blick und sagte kalt:Ich habe Dir ja gesagt, daß ich kein Wort mit Dir reden will. Ich lasse Dich in Ruhe und bitte mir von Dir dasselbe aus."

Allerdings ließ sie Gretchen in Ruhe, sie nannte nie ihren Namen, sie sprach nie ein Wort zu oder von ihr, sie that, als wäre Gretchen gar nicht da. Die andern Zöglinge hingen jetzt mit großer Liebe an ihr, nur Adele spielte ihr zuweilen einen muthwilligen Streich, einen solchen mußten sich aber Alle von ihr gefallen lasten. Der.Name Talarfräulein war beinahe verschwunden, nur Adele konnte es nicht lasten, ihn zuweilen zu gebrauchen.

Es war noch früh am Morgen. Gretchen saß recht traurig in ihrer Stube und dachte an ihre Schwester Martha, deren Geburtstag heute war. Da trat Tante Anna ein und wandte sich zu ihr:Gretchen, was meinst Du wohl, wollen wir heute nach Höfendorf fahren und dort Martha's Geburtstag feiern helfen?" Gretchen jubelte laut auf und