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Und nehmen wir so ein feines Fädchen in die Hand und betrachten es näher, so müssen wir bekennen, daß keine menschliche Spinnerin es herzustellen vermöchte, und wir rufen wohl verwundert mit dem Dichter (Hebel) aus:

Wo mag solch' Flachs zu haben sein?

Wer hechelt ihn so zart und fein?

Wußt' manche Frau, wo sie ihn kriegt,

Sie holt' ihn sich und wär' vergnügt!"

Du Thierlcin hast mich ganz verzückt,

Wie bist so klein du und geschickt!

Wer hat dich nur das Ding gelehrt?

Ich denk': Er, der uns alle nährt,

Der Jedem giebt, was ihm gebricht.

Vertrau' ihm, er vergißt dich nicht!"

Es giebt Menschen, welche gleich darauf bedacht sind, jede Erscheinung in der Natur für die Menschheit nützlich zu machen, und das ist recht schön und gut, wenn auch gerade nicht jeder Versuch gelingt. Zu den nicht besonders erfolgreichen Versuchen gehört auch der, den ein Franzose unternahm, aus den feinen seidenartigen Fäden Seide zu weben und Kleidungsstücke daraus zu fertigen. Er brachte zwar ein paar Handschuhe, ein paar Strümpfe und eine Weste zustande, die er dem Könige Ludwig XIV. zum Geschenk machte, allein es zeigte sich bald, daß diese Gegenstände gar keine Haltbarkeit hatten, und so stellte man die weiteren Versuche wohl­weislich ein. Auch ein Pastor Namens Busch an der Kreuzkirche in Han­nover war, zu Anfang des vorigen Jahrhunderts etwa, für die Idee, aus dem fliegenden Sommer Seide zu weben, eingenommen und schrieb ein dickes Buch hierüber, aber ohne besondern Erfolg. Er hätte wohl wissen sollen, daß der Prophet Jesaias (59, 6) sagt:Spinnweben taugen nicht zu Kleidern," und das ist heute noch wahr, wie zu Jesaias Zeit.

Noch müssen wir bemerken, daß der fliegende Sommer wohl auch zu­weilen an schönen Frühlingstagen erscheint, doch bei weitem nicht in solcher auffallenden Menge wie im Herbste.

Aber," höre ich meine freundlichen Leserinnen fragen,woher kommt es denn, daß man den fliegenden Sommer auch Mariengarn nennt?" Zur Antwort diene Folgendes: In alter Zeit sahen unsere heidnischen Ur- eltern in jeder Erscheinung des Naturlebens eine überirdische göttliche Kraft wirksam, und so schrieben sie auch die Bereitung des fliegenden Sommers