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irgend einem Gölte oder einer Göttin, oder mit wunderbaren Kräften ausgestatteten Zwerginnen zu. In Schweden heißen die feinen Gespinnste des fliegenden Sommers daher heute noch Dvärgsnät, d. h. Zwergnetz. Nach der Einführung des Christenthums übertrug man die heidnischen Anschauungen auf Gott, Christus und Maria. Das Spinnen der Som­mer- oder Herbstfäden mußte nun Maria, die Mutter des Heilandes thun, und so wurde das feine Gespinnst in Deutschland denn auchMarien- garn" oderMarienseide" genannt, während es in Frankreich I'il äs 1a visrgs heißt.

Vielfach verbreitet war aber auch die Volksanschauung, das Mariengarn käme aus dem Monde von einer dorthin verbannten Spinnerin, und man erzählte sich dabei folgende wundersame Geschichte.

Eine alte kranke Frau in einem Dorfe hatte eine einzige Tochter, die war eine vortreffliche Spinnerin und mußte, da der Vater todt war, für sich und die kranke Mutter durch Spinnen den Unterhalt verdienen. Das that sie denn auch recht gern.

Wie drehte das Mädchen;

Wie.schnurrte das Rädchen;

Wie spann sich das Fädchen

So flink und so fein!

'S konnt' schöner nicht sein!"

Bei allem Fleiße aber hatte Maria eine schlimme Neigung, durch welche sie ihrer Mutter oft großen Kummer verursachte. Wenn Maria nur eine Geige zum Tanze aufspielen hörte, so mußte sie mit dabei sein; ja, sie tanzte oft ganze Nächte lang trotz des Bittens und Flehens ihrer Mutter.

Es war gerade Marientag, als die Mutter ihrer Tochter zuredete, sie möge doch heute auf ihre Bitten hören und nicht lange ausbleiben, denn am Marientage werde Ungehorsam der Kinder hart bestraft. Maria ver­sprach tief gerührt der Mutter zu gehorchen, und noch mehr versprach sie: Ich will nimmer tanzen, so wahr der liebe Mond am Himmel steht!" denn es war gerade Mondschein.

Maria nahm Abends ihr Rad und ging zu ihren Freundinnen und spann so fleißig, daß sie kaum vom Faden absah, der rasch durch ihre Hände glitt. Ach, da klangen auf einmal lustige Weisen von der Straße herein; die Musik kam immer näher und in das Haus, wo die Mädchen zusammen waren. Da gab es bald einen lustigen Tanz nach dem andern.