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Viele schöne Mythen giebt es von Thor und seinen Niesenkämpfen. Unter allen ist eine vorzugsweise bekannt und lebt noch heute in den nordischen Mundarten bei Dänen, Schweden und Norwegern in gereimten Volksliedern fort, wenn auch zuweilen in sehr veränderten Nachklängen. Auch bei uns Deutschen hat das Eddalied, welches sie enthält, schon einige Uebersetzer gefunden, unter denen Chamisso vielleicht der erste war. Möge diese Mythe hier noch einen Platz finden und zwar größtenteils nach der Simrock'schen Uebertragung.

Thors Hammer war den Niesen besonders schrecklich, weil er so vielen das Haupt zerschmetterte. Etwas anderes war ihnen ganz besonders begehrlich: die herrliche, schöne Göttin Freyja, und mehr als einmal, wenn Götter und Riesen einen Vertrag abzuschließen hatten, stellten Letztere den Besitz Freyja's unter die Bedingungen auf. Beides werden wir aus unserm Eddaliede ersehen, welches heißt:

Thrymskwida, Thryms-Sage.

Wild ward Wing-Thor, als er erwachte Und seinen Hammer vorhanden nicht sah.

Er schüttelte den Bart, er schlug das Hanpt,

Allwarts suchte der Erde Sohn.

Und es war sein Wort, welches er sprach zuerst:

Höre nun, Loki, und lausche der Rede:

Was noch auf Erden Niemand ahnt.

Noch hoch im Himmel: mein Hammer ist geraubt."

Um auszukundschaften, wo derselbe sein könne, war wohl der schlaue Loki die einzige Persönlichkeit. Er wußte auch, wenigstens vorläufigen Rath.

Sie gingen zum herrlichen Hause der Freyja,

Und es war sein Wort, welches er sprach zuerst:

Willst du mir, Freyja, Dein Fcderhcmd leihen,

Ob meinen Miölnir ich finden möge?"

Freyja antwortet:

Ich wollt es dir geben und wär' es von Gold,

Du solltest es haben und wär' es von Silber."

Dieses legte nun Loki an, um seinen Weg nach Jötunheim zu nehmen, denn er wußte wohl, daß nur ein Niese der Räuber gewesen sein könne.