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Töchter-Album : Unterhaltungen im häuslichen Kreise zur Bildung des Verstandes und Gemüthes der heranwachsenden weiblichen Jugend / mit Beiträgen von Thekla Baudissin... Herausgegeben von Thekla von Gumpert
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Die K l u m e n.

Von

GMn Thekla Ksudisstn.

Amma, ein junges Mädchen von dreizehn Jahren, hatte von ihrer Erzieherin die Aufgabe erhalten, schriftliche Aufsätze zu machen. Den Stoff durfte sie sich selbst wählen und da hatte sie die Erlaubniß erbeten der Er­zieherin die Lebensgeschichte einiger ihrer Blumen erzählen zu dürfen.Ich kann leicht in Erfahrung bringen, was sie unter den Händen ihrer früheren Besitzer erlebt haben, ehe sie der Gärtner brachte, der von Mama den Befehl erhalten hatte, sie für mich zum Geburtstag zu kaufen," sagte sie, ich werde mich nach ihren Erlebnissen erkundigen." Die Erzieherin hatte nichts dagegen einzuwenden. Emma's Geschwister baten sie, ihnen den Aufsatz vorzulesen, wenn er fertig sein würde, es interessirte sie sehr zu wissen, was sie von den Blumen-erzählen könnte. Nach einiger Zeit, als die Kinder alle wieder um die Erzieherin versammelt waren, reichte Emma letzterer ihren Aufsatz hin, diese nahm ihn und sagte:Wie ist Dir's denn ergangen, Emma, mit Deiner Erzählung? Hast Du die Lebensgeschichte Deiner Blumen in Erfahrung gebracht?"Das eben nicht," antwortete Emma,mir hat von ihnen geträumt und ich habe mir allerhand ausgedacht, was ich niedergeschrieben habe. Unter meinen Blumenstöcken habe ich mir vier Pflanzen gewählt, die mir die liebsten sind, nämlich einen Epheu, der zwar keine Blume, aber eine allerliebste Pflanze ist, zweitens einen Cactus, drittens ein Vergißmeinnicht und vier­tens eine Reseda. Von diesen habe ich Euch erzählt und Ihr werdet nun urtheilen, ob's Euch gefällt, was die Blumen sagen, sie reden selbst." Die Erzieherin las vor:

Der Epheu erzählt:

Ich bin ursprünglich an einer alten Ruine emporgewachsen, die auf einer Anhöhe steht, von wo man eine schöne Gegend übersieht. Die Ruine ist einst ein stolzes Schloß gewesen, welches ein tapferer Ritter vor Jahrhunderten gebaut hat. Seine schöne Gemahlin hatte vielleicht zuerst Epheu an der Mauer unter ihrem Fenster pflanzen lassen, und während das ganze Gebäude in Trümmer zerfiel, die innere Einrichtung von Staub und Motten zerstört wurde, die Bewohner nach und nach dahinstarben, lebte die frische, grüne Pflanze Winter und Sommer fort.