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ohne zu wissen, was man bringen wird, sie soll selbst thätig werden lernen, sie soll nicht Kleid und Strumpf schaffen lassen durch Andeke, sie soll selbst arbeiten, Neues schaffen, Altes ausbessern." So war der Tante ihre Aufgabe angewiesen, die übrigens schon im Briefwechsel festgestellt war.

Am ersten Abend saß der Vater lange mit seinem Kinde allein, nach­dem die Tante schon in ihr Zimmer gegangen war; er war recht erregt und sprach von alten glücklichen Tagen, vom glücklichen Zusammenleben mit Gertrud's verstorbener Mutter, von ihrem frommen Sinn, ihrer Mutterliebe, ihrer Sorge für ihre kleine Tochter, ihren Wünschen für deren Erziehung und Zukunft. Er sprach von dem großen Kriege, den er mit­gemacht, von seinen großen Folgen, aber er bezeichnete auch die mancherlei Gefahren, in denen die Entwickelung der Freiheiten, die man gewonnen, die Menschen brächten. Er sprach mit seiner Tochter nicht wie man mit einem unmündigen Kinde spricht, sondern wie mit einem ebenbürtigen, verständigen, erwachsenen Menschen, schließlich sagte er:Meine Gertrud, was Vater und Tochter mit einander reden, das ist geheiligt und darf nicht Mißbrauch damit getrieben werden; ein Mißbrauch aber wäre es, wenn Du Dinge, die ich gegen Dich im Vertrauen ausspreche, weiter tragen wolltest. Was ich eben jetzt sage, beziehe ich namentlich auf Deine Freundschaft mit den jungen Mädchen in unserer Nachbarschaft. Du wirst mit ihnen verkehren, wirst mit ihnen manch' Stündchen plaudern, sei aber auf Deiner Hut, daß Du nicht schwatzest, was Du nicht verantworten kannst. Ich kann Dir nicht alles angeben, was Du nicht ausplaudern darfst, ich verweise Dich auf eine innere Stimme, die Dich warnen wird, beachte diese Stimme, dann wirst Du in Deinen Mittheilungen nicht takt­los werden. Es kann vorkommen, daß ich z. B. mich tadelnd über Deine Freundinnen ausspreche, das bleibt dann unter uns, denn ich habe kein Recht Fremde zu regieren, das alltägliche Sprichwort lehrt: Kehre nur vor der eigenen Thür. Ich werde oft Gelegenheit haben die Nachbarn zu tadeln, ich sage es Dir voraus, denn ich bin nicht einverstanden mit ihrem Thun und Treiben. Ich könnte schweigen auch gegen Dich, doch damit thäte ich gegen Dich ein Unrecht, Du könntest dann annehmen, daß ich stillschweigend Billigung ausdrücke. Ich habe als Vater die Verpflichtung, mein Kind auf Unrecht aufmerksam zu machen, das als Beispiel gegeben, eine Versuchung zur Nachfolge werden kann. Was zwischen einem Vater, einer Mutter und deren Kinde verhandelt wird, das soll dem Kinde im Herzensschrein ruhen und da seine Wirkung thun, vor das Ohr eines