ablenkende Wirkung des elektrischen Stromes auf eine frei bewegliche Magnetnadel weiteren Kreisen bekannt geworden und von Schweigger in Halle und von Poggendorf in Berlin der Multiplicator erfunden worden war. In der Ablenkung eines permanenten Magnetes war ein deutlich sichtbares telegraphisches Zeichen gegeben, und es ist nur natürlich, dass diese Erscheinung von verschiedenen Erfindern, Ampère 1820, Dr. Rit chie i 83 o u. a. zur Schaffung eines elektromagnetischen Telegraphen in seiner einfachsten Form, dem sogenannten Nadeltelegraphen, benützt wurde. Auch bei diesem Systeme wirkte anfangs die grosse Zahl der hiezu erforderlichen Leitungsdrähte sehr erschwerend für dessen Einführung in den praktischen Betrieb.
Viel später (i 83 o —1835) gelang es dem russischen Baron Schilling von Cannstadt, der schon an denVersuchen Sömmering’s lebhaften Antheil genommen hatte, die Richtung der Nadelablenkung in die Combinationen einzubeziehen und auf diese Weise das Alphabet aus den entsprechenden Ablenkungen einer Nadel zu bilden. Im Jahre i 836 kam Schilling nach Wien und stellte daselbst mit dem Professor Andreas von Ettingshausen und Baron Jacquin auf einer Luftleitung beim Universitätsgebäude und auf einer im botanischen Garten unterirdisch geführten Leitung Versuche über die Fortleitung des galvanischen Stromes für Telegraphenzwecke an.
, Die erste praktische Anwendung eines elektrischen Nadeltelegraphen wurde von den Göttinger Professoren Gauss und Weber gemacht, wobei als Elektricitätsquelle statt der bisher üblichen Volta’schen Säule eine wohl sehr primitive Inductionsvorrichtung diente. Dieselben Gelehrten waren es auch, welche die erste längere Telegraphenleitung von der Sternwarte in Göttingen bis zum magnetischen Observatorium in einer Länge von 3 ooo Fuss über die Dächer der Stadt spannten.
Weiter ausgebildet wurden die von Gauss und Weber gegebenen Anregungen von dem Professor R. A. Steinheil in München, dem nachmaligen Chef des Telegraphendepartements im österreichischen Handelsministerium. Diesem genialen Manne verdankt die Telegraphie Verbesserungen, welche für ihre spätere Entwicklung von ausserordentlicher, wohl erst nach Jahren im vollen Werthe erkannter Tragweite waren. Ihm gelang es nämlich zuerst, an Stelle des zweiten Drahtes die Erde als Rückleitung zu benützen, wodurch die Verbreitung des Telegraphen sowohl in technischer, als auch in finanzieller Beziehung wesentlich erleichtert und beschleunigt wurde. Ebenso war Steinheil der Erste, der das bis in die Neuzeit den am meisten verbreiteten Schreibtelegraphen zu Grunde liegende Princip, die ankommenden telegraphischen Zeichen auf einem Papierstreifen zu registriren und ausserdem dem Ohre vernehmbar zu machen, durch entsprechende Umgestaltung des Gauss’schen Empfängers praktisch verwirklichte.
Während in Deutschland Gauss und Steinheil sich um die Ausbildung der elektrischen Telegraphie verdient machten, wohl ohne derselben vorläufig eine Bedeutung als Verkehrsmittel verschaffen zu können, hatte der Schill in g ’sehe Telegraph seinen Weg nach England, dort aber auch sofort den richtigen Boden für die Verbreitung der ursprünglich deutschen Erfindung gefunden. Die Eisenbahn Stockton—Darlington war 1825, die Bahn Liverpool — Manchester 1826 eröffnet worden. Im Jahre 1843 verfügte England bereits über ein Netz von über 3 oo Bahnlinien in einer Länge von ungefähr 442 Meilen, für dessen Betrieb ein zuverlässiger Telegraph zum unentbehrlichen Bedürfnis geworden war. Sowie nun seinerzeit in den bewegten Jahren während der Napoleon’schen Kriege zum ersten Male der Werth rascher Verständigung richtige Würdigung und infolge dessen der von Chappe in Ermanglung eines brauchbaren elektrischen Fernschreibers erfundene optische Telegraph die ihm für die damaligen Verhältnisse unstreitig gebührende Beachtung gefunden hatte, war hier der Fortschritt im Eisenbahnwesen die beschleunigende Kraft für die Vervollkommnung des elektrischen Telegraphen. Jetzt konnte die Telegraphie, zu einem von den Verhältnissen dringend geforderten Verkehrsmittel geworden, nicht mehr, wie früher, auf die in physikalischen Laboratorien allmälig zu Tage geförderten Entdeckungen geduldig warten, sondern musste sich selbständig als erster Zweig einer ganz neuen technischen Wissenschaft, der in ihren Enderfolgen noch nicht zu überblickenden Elektrotechnik, weiter entwickeln.
Die gleichen Verhältnisse, welche der Telegraph bei seinem ersten Erscheinen in England vorfand, bildeten sich binnen wenigen Jahren auch anderwärts aus, und hielt die Ausbreitung der Telegraphie von diesem Zeitpunkte annähernd gleichen Schritt mit der Entwicklung des Eisenbahnwesens. Speciell Oesterreich zählt zu denjenigen Festlandstaaten, welche am frühesten ihr Augenmerk auf diese neuartige
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