Auf späteren Ausstellungen in London, Paris, München, Wien 1873, auch überseeisch, z. B. in Australien, haben sich die Wiener im Rangstreite der Weltindustrie Auszeichnungen und Medaillen geholt und gezeigt, dass das englische Clavier aus einer Wiener Werkstätte vollständig auf der Höhe der Zeit steht. Die Welt kennt unsere Claviere, und die wiederholten Versuche, das ausländische Clavier in den Wiener Concertsälen durch fremde und leider auch einheimische Künstler einzuführen, scheiterten bisher, so zwar, dass der heutige Import fremder Pianos nur mehr durch den Kaufmann (Händler) veranlasst wird.

Bedauerlicher Weise ist nach dem Tode Seufferts 1855 die Firma, welche nahezu 200 Jahre in Wien existirte, in fremde Hände gekommen und so der Glanz dieses altehrwürdigen Namens erloschen. Die Clavierfamilie Stein starb aus, und der letzte Streicher, Sohn des ebenso strebsamen als ver­dienstvollen Bapt. Streicher und Enkel der weltberühmten Nanette Stein-Streicher, zog es vor, nach kurzer Thätigkeit die Werkstätte aufzulösen. Durch das Ableben Ignaz Bösendorfers verlor die Wiener Clavierbaukunst neuerdings eine Hauptstütze; 1858 übernahm dessen Sohn die im Jahre 1828 gegründete Werkstätte. Im Jahre 1872 wurde durch Dr. Hans von Bülow der Concertsaal Bösen­dorfer, im Centrum der Stadt gelegen, eröffnet und prosperirte in der Art, dass dieses Musikheim heute nach 25 Jahren ein schönes und interessantes Capitel zu einer künftigen Musikgeschichte Wiens beitragen kann. Wie eng die Entwicklung des Wiener Clavierbaues mit der Wirksamkeit des Hauses Bösendorfer verwachsen ist, bedarf hier keiner weiteren Ausführung.

Noch in der dritten Auflage 1864 von Gontershausens «Der Clavierbau» ist ein deutscher Schmerzensschrei über Frankreichs und Englands gross gewordene Clavierindustrie zu finden, welcher in folgenden Worten ausklingt: «Frankreichs Gesammtfabrication schlägt man auf zwei Drittel weniger als die englische an; auch stellen sich die Preise durchschnittlich erheblich niedriger. Noch geringer sind letztere in unserem lieben Deutschland, wo die Clavierfabrication und musikalische Erziehung viel ver­breiteter sind als in allen anderen Staaten. Unser Absatz ist meistens auf den Binnenhandel angewiesen und beschränkt sich im allgemeinen auf einen geringen Umfang. Unter den Städten liefert Wien das Meiste in diesem Artikel.»

Nach der politischen Einigung Deutschlands 1871 entwickelte sich jedoch die deutsche Clavier­industrie, welcher Capital und Wissen zuströmte, so rapid, dass England mit seinen kolossalen Consum- und Exportchancen der gesuchteste Tummelplatz für deutsche Clavierfabrikanten wurde, zum Schaden der conserva tiven englischen Industrie, sowie der von starkem Selbstbewusstsein erfüllten Franzosen. Recht bezeichnend für die Engländer und ihre Claviere sind die in englischen Journalen erschienenen Klagen, dass der Rückgang der englischen Clavierindustrie der Verbreitung des Vélocipèdes zuzuschreiben sei ! ! !

Deutschland besitzt gegenwärtig über 500 Clavierfabriken, während in Oesterreich kaum 100 der­artige Werkstätten vorhanden sind. Es ist jedoch eine ganz irrige Meinung, welche durch gewisse Händler und deren aufdringliche Inserate und Reclamen zu Gunsten des Auslandes unterstützt wird, dass die österreichische Clavierindustrie im Rückgänge sei. Zur Genugthuung des patriotisch fühlenden Oesterreichers sei hier constatirt, dass sich die vaterländische Clavier- erzeugung seit 1848 von Jahr zu Jahr auch quantitativ gehoben hat und nur wegen Mangel an investirtem Capital der Steigerung des heimischen Bedarfes, namentlich in Pianinos, nicht folgen konnte. Deutschlands Ueberproduction wusste diese Lücke auszufüllen. Die mit so bescheidenen Geld­mitteln ausgerüsteten Claviermacher Oesterreichs konnten sich auf dem Weltmärkte zwar kaufmännisch der ausländischen Concurrenz nicht unangenehm fühlbar machen, wussten sich aber qualitativ das Ansehen und die Achtung im Vaterlande und in der Fremde zu erhalten, unbeschadet der fortgesetzten hämischen Haltung ihrer auswärtigen Collegen und fortwährenden übelwollenden Ausfälle der ausländischen Fach­schriftsteller, wie des schon citirten Welker von Gontershausen, Kützing, Oscar Paul, F. L. Schubert, Blüthner-Gretschel . . .

Ueber Kützing, der selbst Claviermacher ist, schreibt Fischhof (Seite 123 ): Bei Kützing, in dessen Instrument ich das Ideal der Vollkommenheit zu finden hoffte, bewährte sich hier:

Grau, theurer Freund, ist alle Theorie Und grün des Lebens goldner Baum.

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