Und Gontershausen? Es scheint, dass der grossherzogliche Hof-Instrumentenmacher sein Nestchen in Darmstadt nie verlassen hat, seine Weisheit aus Büchern und Schriften genährt und deutsch­patriotisch gefärbt in die Welt leuchten liess. Seine Claviere sind dunkel geblieben.

Abgesehen von den ungünstigen Zollverhältnissen, musste die österreichische Clavierindustrie leider noch schmerzlichere Erfahrungen machen. Es ist beklagenswerth, dass Persönlichkeiten, welche eigentlich berufen wären, dem heimischen Gewerbe zur verdienten Anerkennung zu verhelfen, statt dessen die ohnehin dem Oesterreicher eingewurzelte, unbegründete Vorliebe für das Fremde noch durch Wort und Schrift nähren und so auswärtigen Erzeugnissen Eingang verschaffen. Dazu kommt noch, dass die Wiener Claviermacher selbst, statt mit offenem Visir den Kampf gegen derartige Strömungen aufzunehmen, ihre Instrumente als fremdländische Constructionen, Imitationen, Systeme ausgaben, was gewiss nicht zur Hebung ihres Rufes beitrug.

Dagegen ist es höchst erfreulich, dass die vor vier Jahren durch die nicht genug zu lobenden Bemühungen des Wiener Claviermachers Franz Schmidt (Schüler von Bösendorfer) und des bekannten Harmoniumfabrikanten Kotykiewicz (vormals Titz) gegründete Fachschule gedeiht und sich in kurzer Zeit die Sympathie und werthvolle Unterstützung der k. k. Regierung und der Genossenschaft erworben hat.

Wenn nun der Wiener Claviermacher neben dem internationalen englischen Piano bis heute das Wiener System pflegt und bemüht ist, dasselbe weiter zu erhalten, so hat diese Treue ihre volle Begründung in der feinen Empfindung für Klangfarbe, in der Anhänglichkeit an den Localton, welchen Componisten wie Schubert, Lanner und Strauss bestimmten, endlich in der Berücksichtigung wiederkehrender Anforderungen der Käufer und der Leistungsfähigkeit der Stimmer und Reparateure in Oesterreich und seinen Grenzländern. Das blinde Nachbilden alles Ausländischen, nur um dem Reiz des Fremden Folge zu leisten, ohne Berücksichtigung der eigenen Verhältnisse, ist nicht nur lächerlich, sondern auch schädlich für den Einzelnen und für die ganze Branche. Sehr beherzigenswerth sind die Worte unseres ausgezeich­neten Fachschriftstellers Eduard Seufiert, welcher den Lesern der «Neuen musikalischen Presse» zuruft:

«Dass alle Wiener Werkstätten (bis zu denen dritten Ranges herab) die Mechaniken und Systeme auch machen, die das ,Um und Auf ausländischen Wissens sind, vergessen unsere Fachgenossen in der Fremde so gerne! Wohl aber erzählen sie, dass man in Wien die Mechanik aus der Zeit Franz Schub er ts noch mache. Wenn dieses Wiener Clavier sich trotz Erardscher und Kützingscher Prophezeiungen, trotz deutscher Dampfconcurrenz und amerikanischer Reclame bis heute behauptet hat wäre das nicht eine Viertelstunde Nachdenkens werth? Was gibt dem Wiener System die Lebenskraft, die Berechtigung? Sagen wir es trocken technisch: der Wiener Resonanzboden, der freischwebende, vorne nicht verbaute, der sensible, leicht erzitternde, mit seinem Charme und seiner Lieblichkeit, mit seinem Echo für Wiener Gemüthlichkeit und seiner Empfänglichkeit für intime Tonwirkungen.»

Es fällt mir nicht ein, mich der Wiener Clavierindustrie als Vertheidiger aufzudrängen; das gute Wiener Clavier wird sich jederzeit selbst mit Erfolg vertheidigen. Aber jene ausländische Clavier-Gross- Industrie, welche hochmüthig auf die österreichische Clavier-Kle in-Industrie herabblickt, in Oesterreich nichts gesehen hat oder nichts sehen will, möchte ich bitten, davon gefällige Notiz zu nehmen, dass die Wiener Clavier-Industrie vorläufig zufrieden und behaglich lebt, da sie noch nicht angekränkelt ist von einer geldgierigen Ueberproduction, die in der Wahl der Mittel zur Entleerung ihrer Magazine nicht sehr rigoros sein darf, sondern Existenz und Zukunft auf die gesunde Basis einer natürlichen, gleichmässigen Entwickelung von Consum und Production aufgebaut hat. In solcher Weise findet der Herr einer Werk­statt, in der er zugleich auch der erste Arbeiter ist, Zeit und Gelegenheit, mit seinen Mitarbeitern Erfahrungen und Ideen auszutauschen, wodurch die von der Grossmannssucht verachtete Werkstatt zur Bildungsstätte für die grossen Anlagen und Maschinenhallen der Fabrikanten wird.

Die mit Maschinen arbeitenden Fabriken drücken das geistige Niveau ihrer Arbeiter herab, indem sie die Ausbildung des Arbeiters verhindern, machen den Arbeiter zum Handlanger und Taglöhner, der wohl ganz folgerichtig und berechtigter Weise für Erhöhung seines Lohnes, sowie für Strike und Socialismus Sinn haben wird, aber kein Interesse mehr für das Clavier, das ihm mehr und mehr entfremdet wird. Die Maschine und die Theilung der Arbeit lähmen die Individualität und schaffen Idealismus und Freude

Die Gross-Industrie. III.

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