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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Enquete zweckmäßig und geeignet sein, die mühsame Leetüre der ein­zelnen Protokolle zu erleichtern. Der Werth, den man diesen Ergeb­nissen beimessen wird, wird allerdings stark von dem Grade der Vertrauenswürdigkeil der Vernommenen abhängig sein. In dieser Hinsicht seien die folgenden Bemerkungen gestattet.

Die Aussagen der Experten wurden vielfach von der Unternehmer­seite als einseitige und tendenziöse bezeichnet, im Großen und Ganzen gewiß mit vollem Unrecht. Wer an den Sitzungen theilgenommen hat, mußte, er mag sonst welcher Partei immer angehören, den Eindruck empfangen, daß sich die Experten ihrer Verantwortung wohl bewußt waren und daß sie entschieden die Wahrheit sagen wollten. Schon die Art, in der die Aussagen gemacht wurden, schließt eine tendenziöse Schilderung der Verhältnisse ganz aus. Mit Ausnahme mehrerer in der Wäscheconfection beschäftigten Personen, die sich selbst gemeldet hatten und die nicht genug Rühmenswerthes über den Betrieb, in dem sie beschäftigt sind, vorzubringen wußten, mußte aus den Expertinnen jede Einzelheit von dem Vorsitzenden und den Commissionsmitgliedern gleichsam herausgezogen werden. In der Regel schämten sich die meisten ihrer Noth und Hilflosigkeit, so daß sie, ohne darum gefragt zu werden, sie nicht eingestanden hätten. Ueberhaupt schien sich die große Mehrzahl mit Resignation in ihr oft recht unerfreuliches Geschick ergeben zu haben. Wenn man am Abend aus der Fabrik kommt, so ist das so, wie wenn mall ein Pferd oder einen Ochsen aus dem Pflug spannt: man legt sich hin und denkt an gar nichts, auch daran nicht, daß man sich um eine bessere Stellung umschauen könnte." Dieser Allsspruch einer Expertin (Nr. 104, S. scheint uns für die Gemüthsverfassung eines großen Theiles der weiblichen Arbeiterschaft typisch zu sein. Leuten dieses Schlages liegt die Absicht, tendenziös schwarz zu malen, gewiß vollständig ferne.

Nun wäre es ja immerhin möglich, daß die Angaben der Experten vbjeetiv unwahr wären, weil diese die Dinge einfach mit vor­gefaßter Meinung betrachten und so, trotz oxtiina Käs, ein Zerrbild gebeil. Aber auch dies trifft gerade bei den weiblichen Experten nicht zu. Mit verschwindenden Ausnahmen stehen die arbeitenden Frauen in keiner Organisation, lind auch die organisirten stehen jeder Theorie so vollständig ferne, daß die Gefahr, ihre Aussagen seien von theoretischen Ueberzeugungen beeinflußt, nicht vorhanden ist. Was also von den Expertinnen über ihre eigensten Erfahrungen ausgesagt wurde, verdient vollen Glauben.

Wie aus den: im Anhange abgedruckten Register ersichtlich ist, wurden Expertinnen aus den verschiedensten Industrie- und Erwerbs­zweigen vernommen, so daß man sich aus den Aussagen ein Bild der Wiener Industrie machen kann. Wenn wir von Maschinenfabriken ab­sehen, in denen Frauen in geringer Zahl beschäftigt werden, können wir sagen, daß die Industrien, in denen große Arbeitermassen be­schäftigt werden und theuere Maschinen aufgestellt sind, zum größten Theile von Wien weggezogen sind. Zurückgeblieben sind neben den Gewerben, die naturgemäß, wie das Baugewerbe und das Kleingewerbe, an einen bestimmten Ort gebunden sind, vorwiegend Mittelbetriebe oder solche Großbetriebe, die zwar eine Menge Arbeiter beschäftigen,