IX
Saison gleicht sich nicht mit dem geringeren zur stillen Zeit zu einem entsprechenden Durchschnittslohn aus. So kommt es denn, daß ein großer Theil der Saisonarbeiter regelmäßig genöthigt ist, gegen Ende der stillen Zeit Consumtionsschnlden zu machen, die sie an denGreißler, Bäcker u. s. w. binden. Und es erscheinen daher den Arbeitern Arbeitsgelegenheiten als äußerst begehrenswert!), auch wenn sie keinen hohen Lohn, aber doch Stetigkeit der Beschäftigung bieten. Charakteristisch dasür ist, daß die Tabakarbeiterinnen wegen ihrer stabilen Beschäftigung als Frauey gesucht sind (S. 456).
Der zweite Fehler der Wiener Industrie ist ein empfindlicher Mangel geeigneter, sanitär untadelhafter Arbeitsstätten. Diese fehlen vor Allem den Zwischenmeistern, bei denen nicht selten in einem Arbeits- ranme, der zugleich als Schlafzimmer dient, eine größere Anzahl von Arbeitern zusammengepfercht werden (S. 456, 445). Aber auch größere Betriebe sind oft in durchaus ungenügenden Localen untergebracht. Es ist dahin zu rechnen, wenn ein Unternehmer der Metallwaarenbranche, der gegen 500 Arbeiter beschäftigt, eine ehemalige „Kegelbndel", in der eigentliche Fenster fehlen, in eine Werkstücke umgestaltet hat (S. 552). Manche Betriebe sind in Kellerränme verlegt, die Ventilation läßt zu wünschen übrig; ja in einen: Falle wird erzählt, daß sich ein Ventilator nicht anbringen läßt, da durch ihn das ältere Gebäude erschüttert werden könnte.
Die Löhne der Arbeiterinnen lassen sich in drei Gruppen theilen. Die nicht qnalificirten Arbeiterinnen, oder auch die noch nicht geübten qualistcirten verdienen im Durchschnitte etwa sl. 4—5 wöchentlich. Die qnalificirten Arbeiterinnen verdienen fl. 5—7 wöchentlich (auch darüber). Die Löhne von sl. 8—10 und darüber sind die Löhne der Arbeiterinnen-Aristokratie, sofern sie regelmäßige sind und nicht ganz besonderer Anstrengung in der Saison entsprechen.
Gerade an den Angaben über die Lohnverhültnisse läßt sich deutlich zeigen, wie groß die Verläßlichkeit der Angaben im Allgemeinen ist. Denn wenn auch die häufige Wiederholung von niedrigen Löhnen Erstaunen und in der Oeffentlichkeit Widerspruch gefunden hat, es ist doch aus unzweifelhaft verläßlichen, von den Unternehmern selbst gelieferten Materialien ein Bild der Frauenlöhne zu gewinnen, das mit den von der Enquete gewonnenen Daten durchaus übereinstimmt. Durch die Güte des Directors der niederösterr. Unfallversicherungs-Anstalt Herrn Kögler war die Commission in der Lage, eine Zusammenstellung der Löhne vornehmen zu lassen, welche die in den letzten Jahren durch einen Unfall betroffenen Arbeiterinnen gemäß den Lohnlisten der Unternehmer bezogen haben. Herr Walther Nothnagel hat sich der äußerst mühevollen Arbeit unterzogen, aus den Acten der Unfallversicherungs-Anstalt die auf die Löhne bezüglichen Daten auszuziehen. Bei der Verarbeitung des Materiales wurden nur jene Listen berücksichtigt, welche vollständig ausgefüllt waren, d. h. welche für jede Woche des Jahres den bezogenen Lohn enthielten. Und zwar wurde dieses Material wieder getrennt verarbeitet, je nachdem die Lohnnach- weisung den Bezug der vom Unfall getroffenen Arbeiterin selbst entrollt (effective Löhne) oder aber einen Lohn, den zwar nicht die zu Entschädigende, aber eine Arbeiterin der gleichen Kategorie bezogen hatte