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Die Groß-Industrie Oesterreichs : Festgabe zum glorreichen fünfzigjährigen Regierungs-Jubiläum seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. dargebracht von den Industriellen Österreichs 1898 ; Dritter Band
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für die gleicharmigen Balkenwaagen zu schwer oder zu voluminös waren. Die letzteren selbst hatten keine Veränderung erfahren seit jenen Zeiten, wo sie die Alten als Attribut der Justitia in Stein meisselten. Lasten von besonderer Grösse und namentlich solche von bedeutendem Volumen es waren dies hauptsächlich die breitgeladenen Heu- und Strohfuhren verwog man mittelst entsprechend massig angefertigter, gewöhnlich am Giebel irgend einer Scheune angebrachter, sogenannter römischer oder Schnellwaagen, indem man die vier von der Waage herabhängenden Ketten an den Achsenenden der Heu- oder Strohwagen (andere Lastfuhrwerke kamen selten in Betracht) befestigte, diese dann mittelst eines Windwerkes, welches später beseitigt wurde, hob, und das Gewicht der also frei schwebenden Wagen durch das Verstellen der Kugel am langen Balken der Waage ermittelte.

Dass diese Manipulation eine äusserst mühsame und zeitraubende war, bedarf wohl keiner weiteren Erhärtung, ebenso ist es einleuchtend, dass die Wägeresultate bei den «Schnellwaagen», die den Bei­namen «römische» dem Umstande verdanken, dass sie thatsächlich schon von den alten Römern in ganz gleicher Form gekannt und benützt wurden, nur sehr geringen Anspruch auf Genauigkeit und Ver­lässlichkeit machen konnten.

Im allgemeinen insbesondere aber, wo es sich um werthvollere Materien handelte als um Heu oder Stroh zog man es daher vor, die Wagenlast partienweise auf der Decimalwaage abzuwiegen und so deren Gewicht, wenn auch langsamer, so doch genauer, als es mit der Schnellwaage möglich war, festzustellen.

Die Decimalwaage blieb also als wichtigstes Wägeinstrument stets im Vordergründe und wird auch zu gewissen Zwecken, allerdings vielfach verbessert und vervollkommnet, auch heute noch allenthalben mit Vorliebe angewandt.

Um die Mitte der Fünfzigerjahre gelang es dann, eine Waage herzustellen, die mit beladenen Strassenfuhrwerken befahren werden konnte, und fast gleichzeitig entstanden die ersten Brückenwaagen, die stark genug gebaut waren, um mit denselben auch Eisenbahnfahrzeuge mit ihrer vollen Ladung auszuwiegen.

Das Verdienst dieser Erfindungen gebührt den Oesterreichern. Dass dieselben in der Praxis rasch Anwendung fanden, förderte der Umstand, dass zu jener Zeit wichtige Bahnlinien, wie die Südbahn und Kaiserin Elisabeth-Westbahn, eben im Bau begriffen waren, während die alten Bahnen ihr Netz stetig erweiterten.

Damals gieng auch Conrad Schember, ein Wiener Gewerbetreibender, welcher der seinerzeitigen Genossenschaft der Waagmacher angehört hatte, als Erster am Continente daran, Waagen fabriksmässig herzustellen, um der regen Nachfrage genügen zu können, welche insbesondere darauf zurückzuführen war, dass jede neu entstehende Station mit Waggon-, Strassenfuhrwerks- und Gepäckswaagen ausgerüstet wurde und auch die Industrie- und sonstigen Unternehmungen das Bedürfnis empfanden, ihre Wäge­manipulationen zu regeln oder zu vereinfachen.

Der damals neu gegründete Industriezweig erstarkte seither in aller Herren Länder mächtig, hat sich aber zu Oesterreichs Ehre sei es gesagt nirgends zu solcher Blüthe entwickelt, wie bei uns. Dies ist nicht zuletzt dem erwähnten Wiener Kleingewerbetreibenden und nachmaligen Waagenfabrikanten zu danken, der sich nicht mit dem Ruhme begnügte, der Begründer eines ganz neuen und höchst wichtigen Zweiges der Gross-Industrie geworden zu sein, sondern auch mit Erfolg thätig war, diesen Zweig zu höchster Blüthe zu bringen.

Gar bald und höchst unliebsam wurde bei nach dem Decimalsysteme hergestellten Waagen der Uebelstand empfunden, dass bei denselben der zehnte Theil der grossen Lasten, die zur Verwägung gelangten, in effectiven gusseisernen Gewichten auf die hiefür bestimmte Schale gehäuft werden musste.

Man war daher bestrebt, hierin Abhilfe zu schaffen, was auch dem Franzosen Sagnier durch die Erfindung seiner Centimalwaage gelang. Bei den Sagnier- oder Centimalwaagen bedurfte man zum Aus­wägen einer Last blos mehr des hundertsten Theiles derselben an effectiven Gewichten.

Das eigentliche Sagnier-System eine Combination des Centimalwägeverfahrens mit dem später zu besprechenden Laufgewichtssystem blieb in seiner Anwendung auf die transportablen Waagen beschränkt, wogegen das reine Centimalsystem die Grundlage zur Entwicklung der stabilen Brücken­waagen wurde.

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