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F. Salvisberg in Bern.

Bei den Andeutungen über die einzelnen Länder fassen wir be­sonders Oesterreich ins Auge, weil es einen bedeutenden Aufschwung zeigt und das Land der Ausstellung ist.

Oesterreich bringt uns auf dem Boden der Möbeltischlerei, Bau­tischlerei, der Uhrkasten, der Jalousien, der Parquetterie, der Fourniere, des gespaltenen Holzes, der Schnitzereien, des Anstriches, der Vergoldung, seinen ganzen Reichthum. Die Entwicklung dieser Zweige steht unter der gewaltigen Influenz, die durch den immensen Aufschwung der Neu­bauten der Stadt Wien herbeigeführt wurde. Wir begreifen gar wohl, dass Oesterreich am ersten sich aufgefordert sah, an der Ausstellung das Bestmögliche zu bieten; es konnte ihm aber bei seinen Mitteln nicht schwer fallen, diess zu thun. Bei Anlass der letzten Pariser Weltaus­stellung wurde man schon aufs Angenehmste überrascht durch die von seiner Seite erfolgte Vorlage von architektonischen Entwürfen, die an geistreicher Gomposition Alles hinter sich zurückliess, was bis dahin in den ersten Städten Europas geleistet wurde. Die Wirklichkeit hat sich diesen Plänen angeschlossen. Wo früher nur vereinzelt oder in ziemlich beschränktem Maase die monumentale Baukunst auftrat, eröffnet sich nun in dem, aus den herben Schicksalsschlägen neu erstandenen Wien, besonders mit dem Aufbau der Ringstrasse, ein Schauspiel der erhaben­sten Bauweise in einer beinahe unübersehbaren Ausdehnung. Aber nicht blos die öffentlichen Bauten traten uns in diesem Sinne entgegen, die ganze unendliche Pracht und Zahl der neuen Privatbauten nehmen diesen Charakter an, so dass Palast an Palast sich reiht. Die neuen weiten Strassen erheben sich in einer Majestät der Form, die unsere grösste Bewunderung erregt. Die weitaus grösste Mehrzahl der Bauten ist im Renaissancestyl aufgeführt. Man könnte darnach meinen, dass eine grosse Monotonie aus den langen Häuserlinien hervorgehe. Das ist nicht der Fall und zwar darum, weil eine herrliche Fülle des Gedankens, eine so Alles umfassende Variation der Motive, die äussere Darstellung lebendig erhält. Diese reiche Abwechslung enthält eine korrekte Unterlage, eine richtige Gonstruktion. Daneben geht ein ganz besonderer Zug über diese ungeheuren Häusermassen, es ist der Charakter der Kühnheit, des Ge­waltigen, der sich über dem grossen Ganzen, wie über dem Detail lagert. Die berühmtesten europäischen Strassen, wie die Boulevards, die Rue Rivoli, Sewastopol, Place de la Concorde in Paris, die Palastreihen der Lords in London, die Linden in Berlin, vermögen dagegen nicht auf­zukommen.

Man wolle uns diese Abschweifung von unserm Thema in die Architektur hinüber zu gut halten, weil in der Tliat in diesem Auf­schwünge der Baukunst Wiens der Schlüssel liegt für die in der besten Entwicklung stehende Holzindustrie dieser Hauptstadt. Der Bautischler, der Möbeltischler, der Kunsttischler für die bedeutende grosse Fabrika­tion, wie für die kleine elegante Tischlerei, verbunden mit den reichsten