Verehrt« Anwesende!

Wäre der Titel: »Noch einmal die Brotfrage der Frau« berufenen Personen, und wohl mit Recht, nicht gar zu trocken erschienen, ich hätte Sie, hochverehrte Anwesende, unter demselben hierher gebeten. Ich hätte Ihnen damit gleich von vorneherein bekannt, dass ich Ihnen nichts Neues zu sagen habe, sondern mich auf Bestrebungen berufen will, mit welchen ich vor mehr als zwei Jahrzehnten vor die Frauenwelt trat.

Damals stellte und begründete ich den Antrag auf Errichtung von Mittelschulen für Mädchen, von der Ueberzeugung ausgehend, dass dem Mädchen gleiches Recht am Unterrichte zukomme.

Es gilt auch diese Stunde dem gleichen Streben und somit der Förderung eines alten Wunsches. Fragen Sie mich, wieso ich mich berechtigt halte, diesen alten Wunsch noch einmal öffentlich auszusprechen, so muss ich darauf erwidern, dass gerade der Umstand, dass meine Ueberzeugungen in nahezu einem Viertel­jahrhundert nicht gewankt haben, dass ich heute, nachdem ich meine Kinder erzogen habe und meinen Enkeln meine Aufmerksamkeit gilt, als Grossmutter unwandelbar vertrete, was ich im idealen Zuge meines jugendlichen Herzens mit Feuereifer ergriff, dass gerade dieser Umstand mich drängt, die Gymnasialfrage der Frau nochmals zu vertreten, obgleich deren Besprechung keine neuen Gesichtspunkte verspricht. Es ist die moralische Verpflichtung, immer und immer wieder das anzustreben und zu be­treiben, was man als gut und nothwendig erkannt hat, bis es That geworden ist. Stehe ich einerseits unter diesem Gefühle der Verpflichtung, so ist mir anderseits bange, Sie mit Oftgehörtem zu ermüden. Ueber diese Besorgniss kann mir nur der Gedanke hinweghelfen, dass wir uns hier ja nicht zusammengefunden haben, um uns im gewöhnlichen Sinne des Wortes zu unterhalten, sondern um eine Vielen von uns gemeinsame Sache zu fördern. Neues erwarten Sie nicht. Ich weiss in der That kein klareres Bild meiner Bestrebungen zu geben, als dies in der Petition mehrerer Fi'auenvereine an den Reichsrath vom 7. Mai 1800 ausgedrückt ist. Der Reichsraths­abgeordnete Dr. Jaques hatte die Güte, dieselbe im Hause einzubringen und zu befür­worten. Uebersichtlicher ist der Stand der Frauenbewegung in Deutschland nicht mitzutheilen, als dieses durch den Bericht geschieht, welchen Louise' Otto Peters zur Feier des. 2öjähiigen Bestandes des allgemeinen deutschen Frauenvereines geschrieben hat. Lina Morgenstern liefert in dem alljährlich erscheinenden allgemeinen Frauen­kalender ein ausgezeichnetes Nachschlagebuch. Die Berichte über den Pariser I'rauen- congress im Jahre 1880, dem der greise Jules Simon Vorstand, geben Aufschluss, wie verschieden die Rechte der Frauen in den Culturländern sind, wobei die deutschen