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Dieser Junibrief 1860 lautete: »An den neuen Leiter des Thiergartens, Herrn »Professor Doctor Brühl, in Wien.«

»Hochverehrter Herr!«

»Sie haben vorigen Montag die gesammte Intelligenz von Wien zu einer Ver- »Sammlung im Thiergarten berufen, und Ihr Appell ist von den besten Erfolgen ge- »krönt worden; denn es sind wirklich über hundert Personen erschienen. Es hat uns »herzlich gefreut, einmal die Gesammtintelligenz einer Weltstadt mit einem Blicke >mustern zu können ; weniger sind wir von den Eröffnungen befriedigt gewesen, die >Sie unserer Intelligenz gemacht haben.«

»Sie behaupten, Herr Professor, es sei für eine Grossstadt wie Wien »»Ehren- »sache««, dass es eine Unternehmung, wie den Thiergarten, nicht zu Grunde gehen »lasse, indem15 ähnliche Unternehmungeri in 15/viel kleineren Städten in Deutsch-

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»land leben, wachsen und gedeihen.«

»Ein Thiergarten »»Ehrensache«« für den Wiener! Lächerlich! Als wenn es für »die Wiener keine würdigere Gesellschaft gebe, als Dromedare und Orang-Utange!

»Wissen Sie, was für den echten Wiener »Ehrensache« ist? Es ist für ihn »Ehren- »sache«, dass er täglich seinen »Taper« oder seine »Billard-Preferance« macht, dass

»er Abends mit seiner Gattin und Nachkommenschaft zum Heurigen geht und dort |

»noch einen Gulden beim »Krainer« oder beim »Kegelschieben« verspielt. Für den ?

»echten Urwiener ist es »Ehrensache«, dass er beim »Petersdorfer Umgänge«, beim

»Mariabrunner Kirchtag«, kurz um bei jeder ordentlichen »Hetz« dabei ist. Wie soll

»ihm da bei der jetzigen Zeit noch monatlich ein Gulden überbleiben, um denselben

»für ein so verfehltes Unternehmen, wie unser Thiergarten, hinauszuwerfen?«

»Und verfehlt war diese Anlage im Vorhinein, denn wenn deren Gründer dem »Geschmacke des Wiener Publikums nur einigermassen Rechnung getragen hätten,

>so würden Sie in demselben anstatt ungeniessbarer Paviane und Riesen-Sala- -

»mander; fette Kapauner und Backhendel, Karpfen und Forellen, oder wenigstens tri- >chinenfreie Schweine cultivirt und zu billigen Preisen ausgeschrottet haben.«

»Mit geringer Achtung vor Ihrem praktischen Verständnisse der Wiener Ver- I

»hältnisse,

»zeichnet

»Doctor Sixtus Plützerl, m. p.«

(Sollte heissen: Red. Sitter.)

Also der Figaro-Brief. Hr. Sitter hatte seinerzeit vollkommen Recht gehabt

und Sie, meine Damen vom Vereine »für erweiterte Frauenbildung«, sind dermalen in einer sehr ähnlichen Situation bezüglich Ihrer Unternehmungen, wie damals der Thiergarten.

Ein Verein »für erweiterte Frauenbildung« in Wien!, seit Jahren bestehend!

und Sie zählen bis heute nur 284 Mitglieder sage 284 Mitglieder in der Resi­denz Oesterreichs mit mehr als Einer Million Einwohner! Dies ist wahrlich eine Schmach; jedoch für wen ? Für die Mitglieder des Vereines gewiss nicht, sondern für diejenigen, welche es nicht sind und es doch bei dem so geringen freiwilligen Beitrage leicht sein könnten.

Mir erscheint es eigentlich ganz unfassbar, dass unter den vielen Tausend ge­bildeter Frauen unserer Residenz so wenige das Bedürfniss fühlen, für die Erhöhungs­möglichkeit des geistigen Bildungs-Niveaus ihres Geschlechtes etwas zu thun.

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