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Die Frauen werden hinausgeleitet, wenn beim Mahle die Reden freier zu werden beginnen und auf ihre Hälfte wagt sich schüchtern und zurückhaltend nicht nur der Gast, auch der Hausherr nicht.

Dort sitzen sie auf breiten, mit vom Plafond herabfallenden theuren Teppichen be­worfenen Tachten (Sophas) und auf weichen, niedrigen Polstersitzen, in rauschender Seide, graziös plaudernd, musicierend und mit schöngepflegten Händen die Schleier glättend ; hier nagt man Süssigkeiten und Nüsse, nippt von süssen Fruchtsäften und tauscht die kleinen Geheimnisse des eigenen Herzens, die erlauschten des fremden miteinander.

Durch die angeführten Beispiele des Frauenlebens in der georgischen Literatur, glaube ich Ihnen ein ziemlich richtiges Bild gegeben zu haben; es gibt keine einzige Gestalt, die sogar bei ungünstiger Beleuchtung des Autoren nicht sofort von ihm selbst entschuldigt würde, d. h. man unterlegt sogar verbrecherischen Zügen und Empfindungen einen sittlichen Leitgedanken und gruppiert die Verhältnisse zum Schlüsse immer in so günstiger Weise, dass die Frau hier nur tiefes Mitleid und jedenfalls Bewunderung erregen muss.

Die Aufzählung der Typen nähme unendlich viel Zeit in Anspruch, die Literatur ist sehr productiv, besonders in letzter Zeit, wo die Georgierinnen schon selbst zur Feder greifen und von sich selbst zu sprechen beginnen. Hoffentlich wird diese be­ginnende Selbstanalyse neues Licht über das Frauenleben ergiessen und vielleicht geheime, unbekannte Seiten der Charaktere zutage fördern, die ethisch und moralisch einflussreich auf die ganze südliche Frauenbewegung wirkten.

Somit überlasse ich die georgische Frau ihrer Beurtheilung und Sympathien. Ich liebe sie mit überzeugter Achtung, sie haben von der Frau alles, das Beste und Schönste und nicht nur das Geschlecht. Möge die russische Nachbarin und Freundin, die ausdauernde, es ernst mit sich und dem Leben meinende Emancipierte, möge sie ihren bildenden Einfluss ausüben auf das erwachende Streben der Südländerin. Dann wird jede Georgierin im Herzen vielleicht besser den grossen Tag verschmerzen können, den Tag des 24. Jänner 1784, an welchem der letzte Georgierkönig, der tapferste Feldherr und Held, dem sogar Friedrich der Grosse den ersten Platz am Schlachtfelde einräumte Hiraklius in all seiner majestätischen Pracht, umgeben von alten Getreuen und Genossen in der Sion-Kathedrale in Tiflis feierlich aufs Evangelium ewige Unterthänigkeit dem russischen Reiche und seinem Monarchen schwur.

Ich gedenke mit aufrichtiger Hochachtung und Bewunderung der einzelnen bereits wirksamen und thätigen Frauen im Kaukasus, die ihr Ziel mit so viel Anmuth und so viel Geschicklichkeit den heranwachsenden Mädchen näheirücken, der Frau Fürstin Maria Orbeliani, der Poetesse und Schriftstellerin Kato Gabaeff, der Redac­teurin und Herausgeberin einer Zeitung und Zeitschrift Fürstin Zeretelli, der wohl- thätigen Frau Fürstin Olga Fadjejewna und aller jener jungen, frischen Kräfte, die sich so lebhaft an allem betheiligen, was Fortschritt und Cultur erheischt.

Es sind ihrer noch nicht viele, aber die wenigen können getrost am Wege für die Kommenden arbeiten und ihn ebnen. Ich rufe Ihnen des berühmten Ilia Tschawtscha-wadse Worte freudig zu.

Nur wenig sind wir, aber gut vereinet Und einem Ziele ehrlich zugewandt,

Nicht selten schon gescliahs, dass viel Berufene Von wenig Auserwählten wurden iiberinannt.

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