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Leipzig hat, ist vor einiger Zeit der Gedanke ausgegangen, in Zürich ein Studentinnenheim zu gründen. Aber dieser Gedanke hat sich an Ort und Stelle wenig Freunde erworben.| Ich will nicht leugnen, dass durch damit ver­bundene pecuniäre Vortheile mancher Studentin vielleicht eine behaglichere Existenz ermöglicht werden könnte; die Grundidee: dadurch das Ansehen der Studentinnen nach Aussen hin heben zu wollen, halte ich indessen für voll­kommen verfehlt. Die junge deutsche Aerztin, welche als Pionnier hinausgeht in die Praxis, sie muss vor allen Dingen fähig sein, selbständig für ihr Sein und Handeln einzustehen, damit sie sich auf dem neu zu gewinnenden Terrain behaupten kann. Nirgend anderswo kann sie sich besser vorbereiten, als in Zürich, wenn sie bereits dort allein, ohne eine dame dhonneur im Hinter­gründe, ihre Würde nach Aussen hin zu vertreten sich bestrebt. Nachgeben im Kleinen, aber standhaft bleiben im Grossen, Principiellen, das ist das Losungswort, welches ich allen heranwachsenden Colleginnen zurufen möchte. Es ist vollkommen richtig, dass eine Studentin doppelte und dreifache Rück­sichten zu nehmen hat; dass sie gut thut. Manches zu vermeiden, was der Dame im Salon gestattet ist; aber hat sie sich einmal eine Position geschaffen, so kann sie unbeschadet, ihren Grundsätzen getreu, sich manche Freiheit ge­statten, die ihr als Familientochter unter Umständen versagt bleibt. Ich denke hiebei namentlich an den freundschaftlichen Verkehr mit den Collegen, an die gemeinsamen Spaziergänge und Ruderpartien, an gemeinsame Lectüre wissen­schaftlichen und belletristischen Inhaltes, die Discussionen darüber etc. etc.

Der Verkehr mit den Collegen gehört natürlich immer noch mehr zur Ausnahme als zur Regel, und in erster Linie wird die Studentin selbstver­ständlich mit ihresgleichen verkehren. Es ist oft im Liede die Freundschaft gefeiert worden, welche, in der Burschenschaft geschlossen, fest und treu die Stürme des Lebens überdauert. Nur der Mann vermöge solche Freundschaft zu üben, hat man gemeint; der Frauencharakter sei ihrer nicht fähig. Ich glaube, dass man der Frau Unrecht damit thut. Denn nicht der Wein ist es, wie der Dichter singt, der das Freundschaftsband knüpft, sondern das ge­meinsame Streben nach dem Ideal, welches vielleicht beim Becherklange zu gegenseitigem Ausdrucke kommt. Gebt den Frauen solch hohes gemeinsames Ziel, und die gleiche Freundschaft, die für den Andern mit dem ganzen eigenen Sein eintritt, wird auch bei ihnen zur Blüthe gelangen. Ja, ich darf sagen, Zürich hat durch die Beziehungen einzelner Studentinnen zu einander bereits darüber entschieden, und diese Thatsache erfüllt mich mit der Hoff­nung, dass das Streben nach einem collegial en Bande, das die ganze Studentinnenschaft umfassen soll, ein Streben, welches der Allgemeine Stu­dentinnenverein in Zürich sich zur Aufgabe gesetzt hat, trotz der Heterogenität der Elemente schliesslich doch gelingen wird.

Wenn die Frau daran arbeitet, sich von dem traurigen Erziehungs- producte vieler Jahrhunderte, dem Haften am Kleinlichen, der Aengstlichkeit vor dem Anstoss nach Aussen, zu befreien, dann, so bin ich fest überzeugt, wird ihr die Verfolgung ihrer idealen Ziele gerade so gelingen wie dem Manne. Und dies, meine Damen, möchte ich Ihnen besonders ans Herz legen: Streifen Sie bei Ihrem redlichen Streben das Persönliche ab, lassen Sie sich nicht ab-