Meine geehrten Damen und Herren!

Indem ich der freundlichen Aufforderung folge, Ihnen von dem Pariser Congress und von der augenblicklichen Stellung der Frauen in Skandinavien und Finnland zu erzählen, bitte ich Sie, keinen geordneten Vortrag zu erwarten, da mir Daten und Zahlen fehlen. Was ich in schlichter Weise Ihnen, geehrte Anwesende, schildern kann, beruht wesentlich auf persönlicher Wahrnehmung und ist daher vielfach lückenhaft. Ich weiss die Ehre wohl zu schätzen, dass ich hier davon Mittheilung machen darf. Was ich bereits auf wiederholten Reisen durch Anschauung erfahren, dass die nordischen Frauen die bevorzugteste Stellung einnehmen, das hat im vorigen Jahre des Pariser Congress schlagend bewiesen.

Es war am 12. Juli 1889, als unter dem Präsidium des früheren Cultus- minister Jules Simon in der Mairie von St. Sulpice der Congres international des oeuvres et institutions feminines eröffnet ward. Eine viel hundertköpfige Menge füllte den Saal. Das Comite bestand ausser dem Präsidenten aus der Ehren­präsidentin Mme. Köchlin-Schwartz, der Vicepräsidentin Mme. Bogelot, den Secretären: Mme. de Beurdeloy, Mmes. Martin et de Morsiez. Die Deputirten fanden auf dem erhöhten Podium ihren Platz. Der greise Präsident, dessen Eröffnungsrede man mit Spannung entgegengesehen hatte, entwarf mit klaren Worten die Idee, welche der Einberufung des Congresses zu Grunde lag und welche das Programm bereits kundgethan. Der Code Napoleon bedürfe einer Neubearbeitung und die Regierung fände, sie sei es den Frauen Frankreichs schuldig, denselben Gelegenheit zu geben, ihre Wünsche darzulegen; ebenso sei es wünschenswerth, zu wissen, was bisher von Frauen aus eigenstem Antriebe geleistet sei. Da andere Länder auf dem Gebiete der Frauenfrage bereits mehr geleistet, so wurden die Fremden ersucht, sich an den Discussionen zu betheiligen und Berichte zu geben. Zuletzt wies der Redner darauf hin, dass das Ausland Frankreichs Frauen verkenne.

Es folgten eine Reihe von Begrüssungen. Herr Bayer, Deputirter der dänischen Kammer, überreichte im Namen der dänischen Frauen ein Banner. Die Delegirten waren theils Herren, theils Damen; aus Schweden beispiels­weise Frl. Ellen Fries, Doctor der Geschichte in Upsala. Die anwesenden Herren waren zum grössten Theil, irre ich nicht, Rechtsgelehrte; ausserdem Mediciner, Professoren, Geistliche, Künstler etc. Der Verein für erweiterte Frauen-Bildung in Wien war durch Frl. Dr. med. Leonore Welt aus Genf vertreten. Der spanische Delegirte Professor Torres Campos aus Madrid, officiel von der Universität geschickt, betonte, dass die Frauenfrage in Spanien zunächst von der Hochschule ausgehe.

Das Programm zerfiel in vier Sectionen: I. Moral und Philantropie, II. Pädagogik, III. Kunst und Wissenschaft, IV. Civilrecht. Es ist sehr be- merkenswerth, dass man bereits in der Section I zur Pädagogik überging und dass die wichtigsten Resolutionen, welche der Regierung vorgelegt sind, in die erste Abtheilung gehörten. Diese »voeus« waren so tief eingreifend, dass alle anderen Fragen im Grunde nur Consequenzen derselben sind.