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Auch ich bin in jenem Vorurtheil befangen nach Zürich gekommen; ich habe mich in der ersten Zeit ängstlich ferngehalten von den russischen Colleginnen; ich habe mich aber im Laufe der Zeit überzeugt, dass ich ihnen zumeist Un­recht gethan. Gewiss unterscheidet sich auch heute noch die russische Stu­dentin in ihrem Aeusseren von ihren deutschen, schweizerischen oder ameri­kanischen Colleginnen. Woher aber kommt das? Lediglich, weil sie über weit geringere Mittel verfügt als diese. Es ist geradezu rührend anzusehen, mit welchem Gleichmuth diese Leute Entbehrungen selbst des Nöthigsten ertragen, nur um ihren wissenschaftlichen und socialen Idealen nachstreben zu können, und wie sie, ohne an den kommenden Tag zu denken, ihr Letztes hingeben, um dem Freunde in der Noth zu helfen. Sie können es auch getrost, denn sie wissen, dass ihnen wieder geholfen wird. Dass unter solchem Kampf um das tägliche Brot der Studiengang in seinem gleichmässigen Flusse häufig leidet, ist selbstverständlich, und diesbezügliche Vorwürfe müssen fast als lächerlich erscheinen. Uebrigens habe ich Gelegenheit gehabt, wenigsteus bei den Polinnen, die sieh allerdings wesentlich von den Russinnen unterscheiden, mich von einer geradezu eminenten wissenschaftlichen Tüchtigkeit und Lei­stungsfähigkeit zu überzeugen. Durch sie habe ich auch die so häufig persi- flirte Studentenehe kennen gelernt, und ich muss offen bekennen, dass die Mehrzahl der deutschen Ehen, in welche ich einen Einblick gewonnen, den Vergleich mit jenen auszuhalten nicht entfernt im Stande ist.

Soviel über Russinnen und Polinnen.

Wie lebt nun die deutsche, resp. österreichische Studentin? Gemäss einer landesüblichen Tradition, dass eine unverheiratete Frau, auch wenn sie an Jahren der verheirateten überlegen sein sollte, stets eines gewissen Schutzes bedarf, begibt sich die deutsche Studentin bei ihrer Uebersiedelung nach Zürich meist in eine Familienpension. Die Aussicht auf eine Pension in einer Professorenfamilie, das ist es, was den Eltern den schweren Entschluss, die Tochter in die Fremde ziehen zu lassen, einigermassen erleichtert. Bald aber zeigen sich die Schattenseiten dieser anscheinend idealen Versorgung. Jedes einigermassen gut erzogene Mädchen wird sich verpflichtet fühlen, Rücksichten zu nehmen auf die Familie, in welcher sie Aufnahme gefunden; sie wird sich zum mindesten veranlasst fühlen, die Zeit der Mahlzeiten einzuhalten. Mittags hat das auch nichts auf sich, da der Vormittag gewöhnlich mit Vorlesungen, die alle um 12 Uhr schliessen, besetzt ist. Abends ist es schon anders. Auf den Nach­mittag und Abend fallen die praktischen Arbeiten. Es wird der Studentin oft passiren, dass sie mitten im besten Zuge, wie man zu sagen pflegt, abbrechen muss, um rechtzeitig zum Nachtessen zu Hause zu sein. Dies ist einmal nach­theilig für die Arbeit selbst, es wirkt aber auch, weil es so kleinlich erscheint, deprimirend auf den Arbeitenden. Auch der Verkehr mit den Colleginnen, der oft die einzige wahre Erholung bildet, wird unter solchen Verhältnissen nicht zu einer vollen, freien und fördernden Entfaltung gedeihen können, und so kommt es, dass die Betreffende bald danach trachtet, die lästigen Bande zu lösen und sich gleich den älteren Commilitoninnen ein oder zwei möblirte Zimmer zu miethen und die Mahlzeiten bei sich im Hause oder gemeinsam mit einer Collegin auf deren Zimmer, oder an Privat-Mittagstischen einzu­nehmen. Von dem Allgemeinen deutschen Frauenverein, der seinen Sitz in