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Nun sollte ich wieder Arbeit suchen. Aber auch die Angst kam wieder, als ich wieder allein in den Straßen herumirren mußte. Ich konnte keine Arbeit finden. Ich lief am frühen Morgen schon von Zuhause fort, um als Erste bei den Toren zu sein, aber immer ver­gebens.

Meine Mutter, die seit meinem Kranksein un- gemein zärtlich gegen mich geworden war und mich oft ihr armes unglückliches Kind nannte und meine Liebkosungen, die sie früher immer abgewiesen hatte, gerührt hinnahm, wurde unwillig, weil ich solange nichts verdiente. Sie mußte sich ja soviel plagen. Tag für Tag, ohne Rast ohne Ruh arbeitete sie. Sie arbeitete in einer Weberei, von den giftigen Farben der wolle hatte sie Wunden an den Fingern be­kommen, am Arm entstanden schmerzende eitrige Ge­schwüre, sie aber überwand jeden Schmerz und ver­richtete ihr mühevolles schlecht bezahltes Tagewerk. Und sie war keine junge Frau mehr. Im Alter von 4? Jahren hatte sie mich als fünfzehntes Kind ge­boren, sie war also schon Jahre und hatte in ihrem ganzen Leben noch keinen Ruhetag gehabt, wenn sie keine Arbeit hatte, ging sie hausieren, um unsern Lebensunterhalt zu verdienen; mit Ehrgeiz war sie bestrebt, weder die Miete noch irgend etwas arideres schuldig zu bleiben. Das war ein besonderer Lharakter- zug an ihr, von niemandem abhängig sein zu wollen. Und nun hatte sie ein großes Mädel, das ihr eine Stütze sein sollte und dieses Mädel verdiente nichts. Sie machte mir schwere vorwürfe und schalt mich;