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schon fort. Ich kniete nieder beim Altar und betete unter weinen und Schluchzen, Gott und die Heiligen mögen das Herz meiner Tante für mich günstig stimmen, wenn ich jetzt bedenke: Raum zwei Gulden hätte ich gebraucht und all mein Kummer und meine Herzensnot wären vorüber gewesen! Damals wußte ich noch nicht, wieviel Geld unnütz verschwendet wird, wie viele Menschen imUberflusse leben, während andere sich in Dürftigkeit verzehren. Zu jener Zeit kannte ich diese Unterschiede noch nicht oder ich dachte über ihre Ungerechtigkeit nicht nach. Ich hielt alles für eine unabänderliche Einrichtung, die von Gott so ver­fügt war.

Diese Stunden und das ganze Leid meiner Kindheit und Jugendzeit habe ich nie vergessen. Und noch immer, trotz der vielen Zähre die seither verflossen sind, kann ich an weinenden Kindern nicht vorübergehen ohne sie um die Ursache ihrer Tränen zu fragen. Immer erinnere ich mich in solchen Fällen an meine eigenen Tränen und wie ich nach Mitleid gelechzt habe. Noch als Arbeiterin habe ich manchen Stundenlohn an fremde weinende Kinder verschenkt, die mir auf der Straße ihre Not erzählt haben.

Ich habe kein Mitleid gefunden. Meine fromme Tante, die ich endlich doch angetroffen habe, bewirtete mich zwar mit Kaffe und Kuchen, als ich aber endlich wagte, meine Bitte auszusprechen, blieb sie hart und unerbittlich. Sie ermähnte mich, jetzt bestimmt nach Hause zu gehen, es sei ja Weihnachtsabend, da werde man mich schon erwarten. Ich bat und weinte, es