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las jetzt schon bessere Bücher, auch Klassiker. Großen Eindruck machten auf mich die Lenauschen Gedichte. „Anna" habe ich auswendig gelernt, dann „Klara Hebert" und die „Albigenser". Für wie - lands „Gberon" hatte ich eine große Schwärmerei; auchLhamissos „Löwenbraut" lernte ich auswendig. Goethe begeisterte mich damals noch nicht, ich fand ihn „unmoralisch" und einzelne Epigramme verwarf ich vollständig als „unsittlich". Erst einige Jahre später waren es die „Wahlverwandtschaften", die mich bestimmten, immer mehr von Goethe zu lesen. Diese, dann „Iphigenie" und die „Natürliche Tochter" habe ich am häufigsten gelesen.
Auch körperlich war ich kräftiger und widerstandsfähiger geworden. Zch war bleich, aber welche meiner Kolleginnen war es nicht? Trotz meiner tatsächlichen Gesundheit konnte ich die Erinnerung an die früheren krankhaften Zustände nicht los werden. Diese düsteren Schatten der Vergangenheit verfolgten mich und manchmal litt ich ganz entsetzlich darunter. Aus den unscheinbarsten Dingen schloß ich, ich würde wieder krank werden. Ein Zucken des Augenlides, ein Flimmern vor den Augen sah ich schon als Vorboten des gefürchteten Zustandes an. Da kam ich oft tagelang aus dem Angstgefühl nicht heraus; schreckerfüllt wachte ich bei Nacht auf und klammerte mich an die Mutter. Diese litt mit mir. Nachbarinnen wußten allerlei Ratschläge,,, Stzmpatiemittel", wie man all die abergläubischen Dinge nennt, die oft angewendet werden. Ich war oft wochenlang