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kraten schwer zu leiden gehabt hatten, wurde von mir mit großem Jubel begrüßt, obwohl ich noch außerhalb der Hartei stand und von niemandem gekannt wurde. Selbst in Versammlungen war ich noch nicht gewesen, ich wußte gar nicht, daß Frauen in Versammlungen Zutritt hatten, außerdem war es ganz meiner bisherigen Auffassung entgegen, allein in ein Gasthaus zu gehen. Mied ich doch jedes Vergnügen, jede Zerstreuung, um nur in keine Gesellschaft zu kommen, die meinen Empfindungen nicht zusagte. Auch meine Mutter schärfte mir immer ein:Ein braves Mädel wird zu Hause gesucht." So saß ich denn immer daheim, mit einem Buche oder einer Handarbeit beschäftigt, während ich noch halb unbewußt, schon mächtige Sehn­sucht nach dem Verkehr mit gleichgesinnten und gleich- denkenden Menschen empfand.

In der Fabrik war ich eine andere geworden, seit sich meine Gedanken von der früheren schwermütigen Sentimentalität etwas freigemacht hatten. Früher hatte ich mich abgesondert, damit zwischen mir und meinen Kolleginnen nicht zu viel Intimität entstehe. Zuerst hatte man das für Scheu und Schüchternheit gehalten, dann als es nicht anders wurde, für Stolz. Da ich aber immer gefällig war und mich nie ausschloß, wenn es sich um irgendwelche gemeinsame Hilfe­leistung zu Gunsten einer Kollegin handelte, gewöhnte man sich an mein Wesen. Auch die Arbeiter, mit denen die Mädchen in den jdausen im Hofraum scherz­ten, ließen mich schließlich meine eigenen Wege gehen. Man nannte mich wohl auch stolz, wenn ich mich an