63
den Unterhaltungen nicht beteiligte und es vermied, mit den Männern zu reden. „Die meint wohl auch, daß sie einen Grafen bekommt," wurde öfter gesagt.
Jetzt wo ich ein Ziel vor mir hatte und wo ich ganz durchdrungen war von dem Gedanken, daß alle Menschen das wissen müßten, was mir bewußt geworden war, jetzt gab ich meine Zurückhaltung auf und erzählte meinen Kolleginnen alles, was ich über die Arbeiterbewegung las. Früher hatte ich auch manchmal erzählt, wenn man mich darum gebeten hatte. Aber statt Vhnets „Hüttenbesitzer" oder dem Schicksale irgend einer Königin erzählte ich jetzt von Unterdrückung und Ausbeutung. Ich erzählte von den in den Händen Einzelner angesammelten Reichtümern und führte als Kontrast die Schuhmacher an, die keine Schuhe, die Schneider, die keine Kleider hatten. Ich las in den Hausen die Artikel der sozialdemokratischen Zeitung vor und erklärte, was Sozialismns ist, so gut ich es verstand. Mit Leidenschaft verteidigte ich meine Sache, als man die Anarchisten mit den Sozialisten auf eine Stufe stellte.
Meine Tätigkeit blieb nicht unbemerkt; die Vorgesetzten wurden aufmerksam und man sprach von mir. Ich war aber ängstlich bemüht, keinen berechtigten Anlaß zu einem Tadel zu geben. Früher war ich so wie die anderen oft zu spät gekommen, jetzt gewöhnte ich mir Pünktlichkeit an. Meine Arbeit machte ich peinlich gewissenhaft, es war in mir instinktiv die Ansicht gereift, daß man, wenn man einer großen Sache dienen wolle, auch in kleinen Dingenseine Pflicht