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Ein Ghr, zu hören meine Klage,

Ein Herz wie mein's

Sich des Bedrängten zu erbarmen."

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Ich wurde angewiesen am nächsten Tag die Stelle einer erkrankten Komptoristin einzunehmen. Einige Jahre früher hätte ich mich darüber grenzenlos gefreut. Wie hätte ich gejubelt, nicht mehr Fabrikarbeiterin sein zu müssen. Alle Schwierigkeiten zu überwinden, wäre mir ganz leicht erschienen. Jetzt war ich emp­findlicher geworden. Es bedrückte mich, eine Stelle zu bekleiden, zu der mir alle vorkenntnisse fehlten. Ich verstand zwar das Kopfrechnen, aber dafür, wie man es mit dem Bleistift zu machen hat, fehlten mir alle Begriffe. Das bißchen Multiplizieren und Divi­dieren, das ich in der dritten Volksschulklasse erlernt hatte, war längst vergessen. Hätte ich aber Begeiste­rung für diesen Posten empfunden, so wäre mir um das Lernen nicht bange gewesen, aber die neue Stel­lung entfremdete mich von meinen Kolleginnen. Ich konnte keine Propaganda mehr machen. Seit meiner ersten Rede war ich aber viel durch Versammlungen in Anspruch genommen. An mehreren Abenden in der Woche und an jedem Sonntag waren Versamm­lungen, in denen ich reden mußte. Im Komptoir hatte ich aber abends um eine Stunde länger zu tun, es war dann zu spät, um noch in die Versammlungen zu gehen. Im allgemeinen war meine Arbeitszeit kürzer ge­worden, ich hatte morgens erst um acht Uhr zu kommen und hatte mittags zwei Stunden frei, so daß ich nach