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Dr. Barnardo ist nicht nur ein grosser Philanthrop, sondern er ist auch ein grosser Pädagoge und als solcher ein Feind jeder Massenerziehung, deren nachtheilige Folgen in England vielfach zu Tage treten. So z. B. fallen, nach einer Aeusserung Lord Monkswells, in einer der grössten Arbeitsschulen Englands {Industrial Schools ) 169 von 1000 Knaben innerhalb drei Jahren nach ihrer Entlassung der Polizei in die Hände. Oder: Von den 1299 im Jahre 1890 in Besserungsanstalten untergebrachten Kindern waren 417 schon einmal, 284 zweimal, 70 dreimal, 38 viermal und darüber bestraft (ein verhältnissmässig sehr kleiner Bruch- theil entfällt dabei auf die Kinder weiblichen Geschlechts).

> Ebensowenig hat die Erziehung in den Werkhäusern, die in Englands Armenpflege eine so grosse Rolle spielen, besonders günstige Erfolge aufzuweisen. Die Werkhäuser nehmen allerdings ganze Familien auf, aber das Familien­leben hört an der Schwelle des Werkhauses auf. Es wmrden die einzelnen Glieder derselben streng nach Alter und Geschlecht getrennt und wird auch kein Bedacht darauf genommen, die moralisch verwahrlosten Kinder von den gut gearteten zu trennen, was selbstverständlich nach­theilige Folgen haben muss.

Die Individualität eines jeden einzelnen der in ihrer körperlichen, geistigen und moralischen Beanlagung so verschiedenen Kinder zu erforschen und darnach mit liebevoller Fürsorge deren Erziehung die Richtung zu geben, das ist das grosse Geheimnis, das die ausser­ordentlichen Erziehungsresultate Dr. Barnardos erklärt, die er nach eigenen und den Mittheilungen seiner Freunde und Mitarbeiter erzielt. Dieses Vorgehen sichert ihm auch die dankbare, verehrende Liebe seiner Kinder, mit der sie, selbst wenn sie längst seiner Obhut entwachsen sind, an ihm hängen.

Dr. Barnardo ist es Herzenssache, in jedem der durch ihn geretteten Kinder dereinst der Gesellschaft einen sitt­lich gefestigten, arbeitsamen und materiell selbstständigen Menschen wiederzugeben. Arbeit und Religion das sind die beiden Grundsteine seines grossen Erziehungsw r erkes, dessen Material er den gemischtesten, oft rohesten Ele­menten entnimmt.