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drücken, die uns keine Opfer sind, wir geben wohl leicht unser Geld, aber so schwer unsere Liebe, wir helfen wohl oft aus Mitleid, aber so selten aus Gerechtigkeit.

Und noch etwas Anderes können wir von Dr. Barnardo lernen; dort zuerst zu helfen, wo Hilfe am dringendsten Noth thut, wo sie in bleibenden Segen sich verwandeln kann.

Wie die Hygiene der Gegenwart immer mehr ihren Schwerpunkt auf das Vorbeugen der Krankheit legt, so ist auch auf socialem Gebiete das Bekämpfen der Ursachen socialer Uebel weit bedeutsamer, als das ihrer Folgen.

Gefängnisse, Trinkerasyle, Arbeitshäuser, sie können viel Böses verhüten, aber das Gute fördern, liegt wenig in ihrer Macht.

Wer das Elend vermindern will durch Zuwachs an Fleiss, Tüchtigkeit, Sittlichkeit und Mässigkeit, der fange bei der Jugend an, bei jener Jugend, die gefährdet ist durch Mangel an physischer und geistiger Pflege, durch Mangel an Aufsicht und Erziehung. Die Jugend ist das Blatt, auf dem wir unser Vermächtniss an die Zukunft ver­zeichnen.

Das traurigste Ding auf Erden ist ein ungeliebtes Kind. Dieses Wort voll Seelenmilde, das Dr. Barnardo einmal ausgesprochen hat, lässt es sich nicht dahin er­weitern, dass das gefährlichste Ding ein Kind ist, das schutzlos der bittersten Noth, der Versuchung und bösen Einflüssen überlassen ist? Denn wer kann ermessen, welche Quelle von Leid, Unglück und Böswilligkeit ein solches unbehütetes Kind für Andere einst werden kann!

Welche wirthschaftlichen Verbesserungen man er­sinnen, welche Anforderungen an die Staatshilfe man stellen mag, immer wird der freien Nächstenliebe ein weites Arbeitsfeld bleiben. Wer wahrhaft Ge­segnetes auf ihm leisten will, der halte sich stets vor Augen, dass das einzig ausgleichende Element in der Ge­sellschaft, die einzig siegreiche Waffe gegen das Elend die verbesserte Erziehung ist. Aus ihr allein kann das Morgenroth einer besseren Zukunft auf­gehen.