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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Frl. Boschek: Kommt es auch in Ihrer Branche vor, daß die Arbeiterinnen sagen:In diesem oder jenem Betriebe arbeiten wir lieber als in anderen"'? Exp. Nr. 1: Ja, das kommt vor. Unser Betrieb z. B. ist in Bezug auf den Lohn besser, aber nicht in Bezug auf die Behandlung.

Vorsitzender: Ist ein Unterschied in dem Lohn zwischen Grost- und Kleinbetrieben? Exp. Nr. 1: In den Großbetrieben wird gewöhnlich weniger gezahlt.

Exp. Prahse: Das ist speciell ein Ansnahmsfall in Bezug auf den Betrieb, wo die Frau Expertin jetzt arbeitet und wo große Fächer gedruckt werden. Dort muß eine Pnnktirerin sehr viel leisten und bekommt deswegen mehr Lohn. In größeren Anstalten aber wird diese Arbeit durch den Schub- apparat besorgt. Im Allgemeinen ist der Lohn in den kleineren Betrieben nicht besser als in den größeren.

Vorsitzender: Es werden also die besser bezahlten Arbeiten den Arbeiterinnen allmälig entzogen? Exp. Prahse: In der Fabrik S. waren früher fünf Arbeiterinnen mit einem Lohn von fl. ll'üO; jetzt, wo die Schnbapparate eingeführt worden sind, sind an deren Stelle Arbeiterinnen mit sl. 4'50 getreten.

Vorsitzender lznr Exp. Nr. 1): Können Sie mir etwas über die Ursachen zur Kündigung sagen? Exp. Nr. 1: Es ist ein Fall vorge­kommen, wo sich die Zugstange in den Schnabel eingebissen hat. Die betreffende Arbeiterin hat gar nichts dafür können. Die Maschine war zerbrochen, und es wurde ihr gekündigt.

Vorsitzender: Kommen Abzüge und Strafen vor? Expertin Nr. 1: O ja.

Vorsitzender: Gibt es eine Arbeitsordnung? Exp. Nr. 1: Nein, das macht d 'r Unternehmer wie er will.

Vorsitzender: Die Höhe der Strafen und Abzüge wird vom Unter­nehmer selbst bestimmt; da gibt's keine Maximalhöhe? Exp. Nr. 1: So ist es.

Frl. Fickert: Werden die Lehrlinge aufgedungen, und werden die Frauen auch Gehilfen? Exp. gler: Die männlichen Lehrlinge werden aufgedungen; weibliche Lehrlinge gibt es nicht, und diese können auch keine Gehilfen werden.

Frl. Fickert: Außerhalb Oesterreichs können die Frauen in diesem Gewerbe bereits Gehilfen werden. Sind in Oesterreich gesetzliche Bestimmungen, daß sie es nicht werden können? Exp. Kügler: Nein.

Dr. Schmied land: Da sie keine Gehilfen werden, können sie später keinen Betrieb auf eigene Hand übernehmen. Das kann ihnen aber gleichgiltig sein, da sie wohl ohnehin nicht die Mittel hätten, um ein selbst- ständiges Unternehmen zu beginnen. Exp. Kügler: Unsere Branche hat eine Genossenschaft. Und auf genossenschaftlicher Basis ist die Aufnahme von Frauen als Lehrlinge nicht üblich, sondern dieselben sind Hilssarbeiterinnen, Handlangerinnen des gelernten Arbeiters. Der Hilfsarbeiter lernt nicht, sondern er qualificirt sich zur Arbeit, wie man zu sagen pflegt. Nach­dem der weibliche Hilfsarbeiter nicht in die Lehre kommt, kann er weder Gehilfe werden, noch sich selbstständig machen. Exp. Neugebauer: Ich möchte aus die Frage des Frl. Fickert Folgendes antworten: Die Lehrlinge sollen zwar aufgedungen werden, aber es kommt auch vor, daß dies nicht geschieht. Manchmal hat ein Herr Principal acht Lehrlinge und meldet nur fünf davon an, so daß die übrigen drei nicht aufgedungen werden. Es kommt sogar vor, daß ein Herr Principal drei Lehrlinge hat und gar keinen anmeldet, selbst nach längerer Lehrzeit. Es pflegt sich auch zu ereignen, daß ein Hilfsarbeiter mehr Geschick hat als ein gelernter Arbeiter, dann stellt ihn der Principal zur Maschine und ersetzt so einen gelernten Arbeiter durch einen Hilfsarbeiter.