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Bei einem Fabrikanten wird die Arbeit vorgelegt, so nnd so viel Dutzend, und darnach wird der Lohn bemessen. Diejenigen, welche fl. 6 haben, müssen z. B. so viel Dutzend machen. Jede Arbeit wird eingeschrieben. Wenn sie nicht so viel machen kann, so bekommt sie in der nächsten Woche nicht mehr so viel bezahlt. Ueberstnnden werden zu Hanse und im Geschäfte gemacht, hauptsächlich in kleineren Geschäften nnd in der Saison. Es bleiben auch einzelne über Nacht dort und arbeiten von Samstag auf Sonntag. Das ist allerdings sehr vereinzelt; während der Woche wird höchstens bis 12 Uhr gearbeitet.

Dr. Verkauf: Warum wird so lange gearbeitet? Exp. Nr. 22: Man braucht die Arbeit. Es muß geliefert werden.

Dr. Verkauf: Könnten die Artikel nicht auf das ganze Jahr vertheilt werden? Exp. Nr. 22: Nein. Die Artikel würden ja durch den Wechsel der Mode Schaden leiden; hauptsächlich die Artikel in Phantasie. In Strauß­artikeln könnte man vorarbeiten, weil die nicht so von der Mode abhängen. Wenn man vorarbeiten würde, wäre zwar nicht der Artikel verloren, aber man könnte ihn größtentheils nicht brauchen. (Ueber Befragen der Vor­sitzenden.) Die Kündigung ist achttägig. In größeren Geschäften gibt es Arbeitsordnungen. Die werden den Arbeiterinnen bei der Ausnahme kund­gemacht, und sie müssen sie unterschreiben. Es gibt auch Contracte, wonach man sich verpflichtet, ein Jahr zu bleiben. Es wird Einem da viel versprochen, aber gewöhnlich bricht man selbst den Contract wegen der Behandlung.

Dr. Verkauf: Wenn die Arbeiterinnen aussetzen müssen, ist es dann nicht vorgekommen, daß sie den Unternehmer geklagt haben? Exp. Nr. 22: Sie klagen ihn nicht. Meist gehen ja die Arbeiterinnen von selbst wegen der Behandlung. Sie werden roh behandelt und kriegen manche Namen. Ein Fabrikant z. B. titulirt seine Arbeiterinnen:Faules Luder",Bestie", das ist sehr häufig.

Dr. Verkauf: Warum lassen sich die Arbeiterinnen das gefallen? Exp. Nr. 22: «sie sind zum Vorstand gegangen; der hat ihnen einfach gesagt: Gehen Sie weg, und lassen Sie sich nicht chicaniren von dem Juden. (Ueber Befragen.) Die Werkstätte wird in der Mittagsstunde gesperrt. Die Arbeiterinnen gehen meistens in die Volksküche oder in die Volkscasös. Dort verzehren sie um 6 kr. Kaffee und um 4 kr. Brot. Die besser Situirten gehen in's Gasthaus, und es kaufen sich zwei zusammen ich habe das auch so gethan 2 Suppen, 2 Gemüse und 1 Fleisch und 1 Glas Bier. Das kostet für beide zusammen 40 kr. Das Frühstück wird zu Hause einge­nommen und besteht in Kaffee, das Gabelfrühstück in Brot, das mitge­nommen wird, oder das man sich holen läßt. Das letztere wird aber größtentheils nicht gestattet, weil zu viel Zeit verloren geht. Zu Mittag können nur wenige nach Hause gehen, da die Geschäfte meistens im VI. oder VII. Bezirke sind, die Arbeiterinnen wohnen aber in Fünshaus, Ottakring, Hernals, auch in Baumgarten. Es gibt unter ihnen auch viele, die in Wien keine Angehörigen haben. Diese wohnen sehr schlecht. Sie zahlen 70 oder 80 kr. pro Woche. Die Lokalitäten sind sehr verschieden. Größtentheils sind sie in alten Häusern, die Wohnung ist meistens vom Geschäftslocale getrennt, sie sind im Hause, aber abgetheilt. Das ist die Regel. In den Arbeits- rüumen wird nicht gekocht. Manchmal wird etwas gewärmt; auch in den Werkstätten wird oft zu Mittag gegessen, dann bleiben die Arbeiterinnen während der Mittagspause dort. Die Pause wird aber immer eingehalten und während derselben nicht gearbeitet. Bei einem Fabrikanten ist es Usus, daß die Arbeiter während der Saison in ein 6 kr.-Cafe gehen und dort arheiten, aber die Werkstätte wird gesperrt. Die Mädchen arbeiten im Kaffeehause einen Theil der Nachtarbeit, damit sie am Abend mehr nach Hause mitnehmen können.