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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Dr. Riedl: Wie groß ist die Wohnung? Exp. Nr. 36 : Sie besteht aus Kammer und Küche, und wir bezahlen dafür monatlich fl. 8.

Vorsitzender (zur Exp. Nr. 35): Was sind Ihre Eltern ? Exp. Nr. 35: Mein Vater ist Maschinist.

Frl. Bosch ek: Sie sagen, es gibt in der Fächerbranche keine Arbeiterin oder Lehrmädchen, welche bei der Frau Wohnung hat. Ich kenne aber eine, die ein Lehrmädchen mit Kost und Wohnung hat. Ist Ihnen eine solche Werkstätte nicht bekannt? Exp. Nr. 35: Nein.

Experte Weiß: Wie schon von dem Hntmacher gesagt worden ist, ist es auch bei uns sehr schwer, Expertinnen hieher zu bekommen. Wir hätten solche, welche schon jahrelang beschäftigt sind und die Uebelstände genau kennen, aber die Leute fürchten sich, weil sie schon einen langen Platz haben, und die jungen Mädchen fürchten sich vor der Entlassung. Deshalb bin ich, weil ich die Uebelstände kenne, beauftragt worden, zu kommen und die Expertinnen zu unterstützen. Die größten Uebelstände sind in einer hiesigen Fabrik. Nach dem Gesetze dürfen Kinder unter 14 Jahren nicht zur Arbeit verwendet werden und Kinder unter 16 Jahren dürfen nicht länger als acht Stunden arbeiten. In dieser Fabrik aber arbeiten Kinder von 12 bis 13'/z Jahren bis zu 16 Stunden, oder die Mädchen arbeiten zehn Stunden in der Fabrik und dann noch bis 12, 1 Uhr zu Hause, weil der Fabrikant sagt, bis morgen Früh muß ich die Arbeit fertig haben. In den großen Betrieben wird am Sonntag meist nicht gearbeitet, aber in den Mittelbetrieben wird gearbeitet und für den Sonntag Nach­mittags müssen die Arbeiterinnen Federn nach Hause nehmen, um sie bis Früh fertigzustellen; fügen sie sich nicht, so werden sie entlassen. In den großen Betrieben ist nicht etwa ein Werkführer, sondern es sind Abtheilungen L, 6 und so fort, und jede Abtheilung hat einen Buchhalter mit fl. 60 bis fl. 80 monatlich, der nur einzuzeichnen hat, wie viel Arbeit Jede geliefert hat, und einen Werkführer mit fl. 15 bis 20 wöchentlich. Lohn haben die Frauen und Mädchen fl. 1'50, 2, höchstens fl. 5. Nur jene Frauen, welche solche Arbeiten machen, die früher Männer gemacht haben, verdienen sich fl. 5 bis 6,^ während die Männer früher das Vierfache bekommen haben. Die Außerhausarbeit haben nur zwei Fabriken ausgebildet. Die kleinen Federnschmücker, welche sich heute so nennen, sind gar nicht vorn Gewerbe, sondern Uhrmacher oder Schlosser, Maschinisten, Mechaniker, die Frau hat das Gewerbe erlernt und der Mann betreibt es jetzt mit jugend­lichen Hilfsarbeitern. Es gibt aber noch die ganz kleinen, die in eine Fabrik liefern. Die bekommen am Samstag dort fl. 14 bis 16 heraus, und an den: Gelde nehmen drei bis fünf Personen Theil, die zu Hause arbeiten. Da arbeiten Schulkinder und bekommen pro Tag 10 kr. undLehrmädchen" mit fl. 1 wöchentlich. Es sind aber gar keine Lehrmädchen heute in unserer Branche, es sind nur Hilfsarbeiterinnen. In einer Fabrik werden die Mädchen von den Antreibern ausgebeutet und sie müssen sich auch dem Willen des Werkführers ergeben, sonst werden sie entlassen. Das ist übrigens auch bei anderen Firmen so. Kündigung gibt es nicht, die Mädchen werden hinausgeschmissen, wenn sie nicht so tanzen, wie es dem Werkführer beliebt. Wegen der Kündigung waren schon viele Verhandlungen, in denen der Unternehmer verurtheilt worden ist, die 14 Tage zu zahlen. Es kommt auch vor, daß die Arbeiterinnen über Mittag nicht in der Werkstätte bleiben dürfen, weil sie gesperrt wird, und dann im Regen im Eßterhazypark sitzen müssen. Am Freitag und Samstag, wo das Geld ausgeht, gehen sie auf die Mariahilferstraste die Fenster zählen, weil sie nicht das Geld haben, sich um 6 kr. Kaffee zu kaufen. Die Kost ist so schlecht bei den Frauen­zimmern, daß man es nicht sagen kann. Das ist auch bei dem schlechten Verdienst nicht anders möglich. Wenn sie nicht Eltern oder andere Ber-