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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Kinder, da kostet mich das Essen 20 kr. Zur Jause kause ich mir Wurst oder Speck. Das Nachtmahl nehme ich vom Wirthshaus. Für das Frühstück gebe ich 30 kr. aus; da ist auch die Jause mitgerechnet. Das Nachtmahl kommt auch aus 30 kr. Mein Mann ist Taglöhner und verdient fl. 8 bis 9. Für die Wohnung zahlen wir fl. 1030 pro Monat. Wir haben in der Brigittenau Zimmer und Küche.

Dr. Ofner: Wie ist es mit der Reinlichkeit im Arbeitslocal bestellt? Exp. Nr. 39: Ausgewaschen wird nie. Das ist nicht möglich, weil zu viel Staub ist. Das Arbeiterzimmer wird im Jahre ein- oder zweimal gereinigt.

Wittelshöfer: Wie alt sind Ihre Kinder? Exp. Nr. 39: Ein Bub ist 3' ^ Jahre, der andere 10 Jahre.

Wittelshöfer: Was machen die Kinder während des Tages? Exp. Nr. 39: Den Kleinen gebe ich in die Spielschule, der Große geht in die Schule. Nach der Schule geht er nach Hause und macht seine Aufgaben. In der Spielschule zahle ich pro Tag 5 kr. Früher war meine Mutter bei mir.

Dr. Rauchberg: Wie viel Betten haben Sie? Exp. Nr. 39: Drei. (Auf Befragen.) Das Arbeitslocal ist im ersten Stocke. Es ist nur eiu Saal mit 15 Fenstern, alle auf eiuer Seite; in demselben sind 80 Personen. Je vier Frauen sind an einem Fenster, die übrigen arbeiten in der Mitte des Locales. Die Fenster gehen in den Hof. Es sind vier Aborte; im ersten Stocke für die Frauen und unten für die Männer. Der Arbeitsraum wird ausgekehrt und mit Carbol bespritzt, und zwar in der Frühe, wenn wir hinaufkommen. Wir haben auch eine Stanbmaschine. Es sind im ganzen Locale Röhren, und die ziehen den Staub in sich. Unten ist ein Reservoir, und wenn die Maschine länger geht, ist das Wasier im Reservoir wie Koth. Sie ist aber nie in Betrieb.

Vorsitzender: Warum? Exp. Nr. 39: Weil das dem Herrn Geld kostet. Die Maschine ist nur zur Parade da; wenn der Gewerbe-Jn- spector kommt, wird ein Aviso gegeben, und die Maschine geht.

Vorsitzender: Wann war die Maschine zuletzt im Gang? Ex­pertin Nr. 39: Das ist schon über ein Jahr.

Pernerstorfer: Ist ein Vorraum, wohin der Jnspector zuerst kommt? Exp. Nr. 39: Es wird von unten hinauftelephonirt, wenn er kommt, und dann lassen sie die Maschine gehen.

Exp. dir. 37: Bei uns ist es auch so. Wenn der Jnspector kommt, wird hinauftelephonirt; dann muß die schmutzige Arbeit sofort weggeschafft werden, und wir bekommen reine.

Pernerstorfer: Kann denn das so schnell gemacht werden? Exp. Nr. 37: O ja.

Exp. Nr. 39 (über Befragen): Zeit, uns vor dem Essen zu reinigen, bleibt uns nicht. Es ist eine sehr große Waschküche da; dort sind acht oder neun Ausläufe der Wasserleitung, die in einen Waschtrog gehen. Im Geschäft wäscht man sich. Wir haben bei der Arbeit Zwilchmäntel, die wir über die Kleider ziehen. Im Arbeiterzimmer wird alle Jahre der Fußboden zwei- bis dreimal gerieben. Seit sechs bis sieben Jahren ist noch nicht geweißt worden; auch im Arbeiterzimmer nicht. Die Wände werden etwa einmal im Jahre mit Besen abgestaubt. Bei uns sind zumeist verheiratete Arbeiterinnen. Die jugendlichen Arbeiterinnen bekommen 75 kr. pro Tag. Es sind deren 12 oder 13. Ueber die Erkrankungen kann ich nichts sagen. Es kommt häufig Stechen vor; das ist vom Zug, auch wird viel gehustet. Todesfälle sind mir nicht erinnerlich. Wir sind bei der allgemeinen Krankenkasse versichert. Wir zahlen 17 kr. pro Woche und bekommen fl. 4'20. Wir gehören keiner Orga­nisation an. Bei der Unfallversicherung sind wir nicht. Unfälle kommen auch nicht vor. (Ueber Befragen des Dr. O f n e r.) Die Ventilationsmaschine besteht, fo lange das Haus steht. Der Jnspector war einmal im Jahre dort; wenn er gekommen ist, ist er immer durch das Hausthor gegangen. Die