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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Maschine wird durch den Gasmotor betrieben, durch den auch die Auszüge betrieben werden.

Vorsitzender: Wir gelangen zur Vernehmung von Experten aus der Papierbranche. Experte 6 (über Befragen seitens des Vorsitzenden): In dem Betriebe, wo ich bin, wird Cigarettenpapier erzeugt. Es ist dort ein vierzigpferdekräftiger Motor. Die Fabrik besteht aus zwei Häusern. Sie sind drei Stock hoch; es wird aber auch der Dachboden als Arbeitsraum benützt, und die Transmission geht bis in den vierten Stock. Männer sind wenige beschäftigt. Das Papier ist meist Seidenpapier und wird zunächst geschnitten, dann durch eine Maschine mittelst Stahlstanzen gestampft. Die Maschine bedient ein Mann. Wenn die Büchel gemacht sind, werden sie in einen Umschlag eingelegt; man nennt daseinkleben". Das machen die Frauen. Ein Theil salzt die Etiquetten, in welche die Büchel eingeklebt werden; ein Theil macht die Cartons dazu. Dann ist noch eine Maschine da, wo das Papier gefärbt wird; diese wird von einem Manne bedient. Auch Hülsen werden bei uns erzeugt. Das Papier wird aus Stahlschablonen aufgeklebt und zusammengeklebt heruntergezogen. Dann wird das Mundstück dazu gemacht. Dabei sind nur Arbeiterinnen beschäftigt. Die Hülsen werden aber größtentheils außer Hause gemacht.

Expertin Nr. 40 (gibt über Befragen seitens des Vorsitzenden an): In der Fabrik, in welcher ich bin, sind über 500 Leute beschäftigt. Ich bin seit neun Jahren dort und mache die cartonirten Büchel, das Einkleben. In unserem Saale sind nur 2 Männer und 70 bis 80 Mädchen. Es ist ein sehr großer Wechsel. An manchen Wochen gehen drei bis vier Mädchen fort und kommen wieder einige. Die Arbeit ist nämlich sehr schlecht, man verdient sehr wenig. Kinder sind nicht beschäftigt, aber junge Mädchen mit 14 oder 15 Jahren. Sie werden nicht als Lehrmädchen behandelt, wenn sie auch nur 20 kr. pro Woche bekommen. Bei den Maschinen sind nur Männer. Die Einklebe-Arbeit wird nicht außer Hause gegeben. Die Arbeiterinnen sind meist Arbeiterkinder. Entlassen werden nur wenige; die meisten gehen selbst weg, gewöhnlich wenn die Arbeit aufhört. Jetzt ist gerade die Zeit, wo die Arbeit sehr schlecht geht. Wir haben zwar das ganze Jahr Arbeit, aber wir müssen oft aussetzen; wir bleiben jedoch, auch wenn wir keine Arbeit haben, in der Fabrik. So sind wir von vorgestern bis gestern zu Mittag in der Fabrik gesessen und haben nichts gemacht, daher auch nichts verdient.

Pernerstorfer: Dürfen Sie nicht fortgehen? Exp. Nr. 40: Manchmal. Es ist dem Herrn nicht recht, damit es nicht heißt, daß bei ihm keine Arbeit ist.

Wittelshöfer: Kommt das zu bestimmten Jahreszeiten vor? Exp. Nr. 40: Das ist nicht gleich; manchmal haben wir monatelang sehr viel zu thun. (Ueber Befragen.) Die Arbeit wird nach Stück bezahlt. Für 100 Büchel bekommen wir 3 kr., oder auch nur 2 kr. Das hängt von der Qualität ab. Das Bücherüberschleifen ist besser als das Einkleben. Für 100 Büchel werden l'I» bis 2 kr. bezahlt. Der Preis ist geringer, wenn weniger zu thun ist. Ich verdiene manchmal nicht einmal fl. 4, bin auch schon mit fl. 1 95 nach Hause gegangen. In der Zeit, wo starke Arbeit ist, verdiene ich höchstens fl. 4. sl. 5 habe ich schon seit zwei Jahren nicht -gesehen.

Vorsitzender: Sind Sie eine geschickte Arbeiterin? Expertin Nr. 40: Es °gibt Arbeiterinnen, die flinker sind; die kommen über fl. 5. Ebenso diejenigen, welche die Werksührerin gut leiden kann; die bekommen nämlich bessere Arbeit. Ueberstunden haben wir selten; höchstens eine Stunde. Abzüge und Strafen sind bisher nicht in Uebung gewesen; jetzt will sie der junge Herr einführen. Wir haben eine Arbeitsordnung, es steht aber von Strafen nichts drin. Material kann bei uns nicht verdorben werden. Die Arbeitszeit ist von 7 bis 6. Frühstücks- und Jausenpanse haben wir nicht.