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Die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Wiener Lohnarbeiterinnen : Ergebnisse und stenographisches Protokoll der Enquete über Frauenarbeit, abgehalten in Wien vom 1. März bis 21. April 1896
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Wenn wir etwas zu uns nehmen, darf das nicht gesehen werden. Wir haben höchstens Kaffee und eine Semmel mit. Den Kaffee können wir wärmen, aber nur verstohlen. Die Mittagspause ist eine Stunde. Der Fabrikssaal wird dann nicht geschloffen; wir können dort bleiben, und meist arbeiten wir ein wenig. An Sonntagen arbeitet Niemand; wohl aber an gewissen Feiertagen. Kündigung gibt es nicht. Das steht zwar nicht in der Arbeits­ordnung, ich habe aber oft gesehen, daß Leute ohne Kündigung weggehen.

Dr. Rauchberg: Wie lange im Jahre müssen Sie feiern? Exp. Nr. 40: Wenigstens drei Monate kann man sagen. Das ist vielleicht zu wenig.

Baronin Vogelfang: Wenn Jemand an Feiertagen in die Kirche gehen will, läßt sie der Herr gehen? Exp. Nr. 40: Der Herr ist sehr christlich, aber in der Hinsicht nicht.

Dr. Riedl: Haben Sie früher flinker gearbeitet? Exp. Nr. 40: Ja. Früher habe ich bis fl. 6 verdient, noch vor drei Jahren. Damals war aber auch meine Arbeit anders, ich hatte besseres Material, und es ist uns Alles zugetragen worden. Jetzt müssen wir Alles selbst holen, und dadurch verlieren wir viel Zeit.

Dr. Riedl: Dieser Zeitverlust soll doch alle Arbeiterinnen treffen? Exp. Nr. 40: Nein. Wir haben eben mehr zu tragen. Diejenigen, die bessere Arbeit haben, brauchen nur einmal oder zweimal die Arbeit heraus­zutragen und abzuliefern, während ich drei- und viermal gehen muß. Tann bekommen wir auch die Arbeit oft nur stückerlweise und müssen dann wieder warten.

Herrdegen: Liegt die Ursache dieses Aussehens der Arbeit nicht etwa darin, daß Sie darauf warten müssen, bis die Arbeit von der Maschine kommt und daß nicht entsprechender Vorrath vorgeschnitten ist ? Exp. Nr. 40: Wenn der Herr die Waare nothwendig braucht, so haben wir das Material gleich.

Engel: Wie viel Büchel machen Sie im Tage? Exp. Nr. 40: 3500. Exp. 0: Es kommen 100 Büchel in einen Carton hinein. Dafür bekommt sie 2 kr., und da macht sie ungefähr 35 solche Cartons.

Engel: Gibt es Jemanden, der bei derselben Arbeit mehr im Tage macht? Exp. Nr. 40: Höchstens 38. (Ueber Befragen.) Geschenke an Vorgesetzte haben wir nicht zu machen. Zum Frühstück habe ich Kaffee, den ich mir von Hause mitnehme, zu Mittag Suppe und Zuspeise, das kostet meist 7 kr., höchstens 10 kr., zur Jause wieder Kaffee, den ich mir von zu Hause mitgenommen habe. Das Nachtmahl nehme ich zu Hause gemeinschaftlich mit meinem Sohne. Ich bin Witwe. Ich koche Abends nicht. Manchmal mache ich eine Erdüpfelsuppe oder koche Erdäpfel, oder ich hole aus dem Gasthaus ein Gollasch, Beuschel oder dergleichen. Manchmal kaufen wir uns, ich und mein Sohn, zusammen einen halben Liter Bier. Das Arbeitslocal ist im ersten Stock und hat acht Fenster. Es ist nicht besonders lustig und sehr staubig. Irr der Früh wird oft, wenn wir kommen, noch ausgekehrt. Hie und da machen wir die Fenster auf. Ventilation haben wir, wir benützen sie aber nicht, da es sonst zu kalt würde und wir zu unserer Arbeit Wärme brauchen. Die Räumlichkeiten sind rein. Daß die Wände abgestaubt werden, habe ich nie gesehen. Der Fußboden wird nicht gerieben, auch die Fenster werden nicht geputzt, außer wir würden sie putzen. Wir haben Gelegenheit, uns zu waschen, da für jeden Tisch ein Schafs vorhanden ist. Am Tisch sind sechs bis acht Personen. Seife und Handtücher bekommen wir nicht. Zum Reiben der Tische müssen wir selbst Fetzen mitbringen. Der Staub entwickelt sich durch Federweiß, das bei der Arbeit benützt wird, und durch das, was man an den Füßen hineinträgt. Uns ist eine Frau vorgesetzt, von deren Gunst wir Alle abhängig sind. Manche Arbeiterinnen haben das ganze Jahr zu thun und brauchen nie auf eine Arbeit zu warten.